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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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längste Nacht des Jahres. Von nun an würden die dunklen Stunden, die von Talglampen und Kerzen doch kaum bezwungen wurden, endlich wieder kürzer werden. Und während Veronika sich freute, fürchtete sie doch bereits die Frühjahrstage. Mit der Schneeschmelze erwarteten Michael und Gábor Hunyadis neue Order. Denn wie fern die Türken im kalten Licht des Winters auch schienen, keiner von ihnen glaubte, dass sie ruhen würden, ehe sie nicht Serbien und Ungarn erstürmt hatten.

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    8 . Kapitel
    Belgrad, Juni 1456
    D ie Türken kommen!«
    Die Worte schallten wie ein vielstimmiger Chor in Veronikas Ohren, obwohl der Ruf, der seit zwei Tagen überall auf den Belgrader Gassen erklang, hinter den dicken Mauern der Kathedrale kaum zu hören war.
Jesu Christi, erbarm dich unser.
    In der Kirche war es kühl, und die Wände schimmerten und flackerten im Licht von unzähligen Kerzen. Sie presste ihre Hände so fest zusammen, dass sie ganz weiß wurden. Ihr Blick ruhte auf der goldfarbenen Ikone, die über dem Altar hing. Das edle Antlitz Christi schaute gütig auf seine Gemeinde herab, die rechte Hand hatte der Heiland zum immerwährenden Segen erhoben. Er schien als Einziger nicht von den anrückenden Feinden beunruhigt zu sein.
    Ein Seitenblick auf die anderen Kirchenbänke zeigte Veronika, dass unzählige andere Augen ebenfalls auf die Ikone gerichtet waren. Fast die ganze Stadt war versammelt. Inbrünstig bewegten sich Lippen zum Lobpreis, bleiche Gesichter flehten Christus um Hilfe und Trost an. Belgrad war ein Hort der Angst, seit vorgestern die Nachricht gekommen war, dass die Türken nur noch wenige Tagesmärsche entfernt waren. Kaum einer hatte vor dem Ablauf des nächsten Monats mit ihnen gerechnet. Graf Hunyadi und sein Heer waren immer noch in Temeschburg, und die eilig losgeschickten Boten hatten ihn vermutlich noch nicht einmal erreicht.
    »Herr, steh uns bei«, flüsterte sie.
    Wie zur Antwort ertönten da die mächtigen Klänge der Orgel, und die Steinwände schienen zu beben, als sich die Stimmen der Kirchgänger zu Gott erhoben. Auch Michael Szilagyi sang aus geschwellter Brust, und obwohl Veronika nur seinen Hinterkopf sah, hörte sie seine Stimme deutlich aus all den anderen heraus. Der Hauptmann kniete in der ersten Reihe in Kettenhemd und grünem Umhang, den Kopf stolz erhoben. Seine Statur war so mächtig, dass die Ratsherren der Stadt neben ihm fast verschwanden.
    Michael war der stärkste Mann in dieser Stadt, dessen war sie sich sicher, und doch verkrampfte sich ihr Herz vor Furcht. Körperliche Stärke allein würde nicht reichen, um sie alle zu retten.
    Sie wünschte sich plötzlich, dass Gábor hier wäre. Er hätte die Ruhe ausgestrahlt, die sie brauchte, und er hätte die Lage genau einzuschätzen gewusst. Doch er befand sich bereits seit einigen Monaten an Graf Hunyadis Seite in Temeschburg. Nur Miklos war bei ihr in Belgrad geblieben. Den heutigen Kirchbesuch hatte er allerdings verschmäht. Er nahm in der Festung an Waffenübungen teil, und sie beneidete ihn darum. Er hatte eine Aufgabe im Kampf gegen den Feind.
    Mittlerweile hätte sie dem narbigen Jungen ihr Leben anvertraut. In seiner wortkargen Art war er stets für sie da. Er streifte nachts als Wolf mit ihr durch die Wälder und analysierte mit ihr die Gespräche, die sie am Hof belauschten. So hielten sie sich trotz Gábors Abwesenheit über die politischen Entwicklungen auf dem Laufenden.
    In den Stunden nach der schlimmen Nachricht über das Anrücken des türkischen Heers hatten sich Verwirrung und Tumult in der Stadtbevölkerung breitgemacht. Viele waren in ihre Häuser gerannt und hatten die Türen verriegelt, andere liefen kopflos hin und her. Schnell füllten sich Belgrads Gassen, Klöster und Armenhäuser mit Flüchtlingen. Vor allem aus dem Umland kamen Bauernfamilien, um innerhalb der Mauern Zuflucht zu finden. Auf Eselsrücken, auf Karren und ihren eigenen Schultern hatten sie die erste Ernte des Sommers geladen, darunter Rüben und Zwiebeln, die viel zu früh aus der Erde gezogen worden waren. Ihre Gesichter waren traurig und rußverschmiert. Veronika wusste warum, denn sie hatte aus ihrem Turmfenster über die Wälder geblickt und dahinter die Rauchfahnen gesehen, Zeugen der Brände, die die Bauern selbst gelegt hatten. Sie versengten ihr eigenes Land. Lieber sahen sie ihre Äcker tot, ihr Vieh vertrieben und die Brunnen vergiftet, als dass sie Leben und Nahrung für die Türken spendeten. Veronika konnte sie

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