Mondherz
auf hölzerne Gerüste zu hieven. Die Gerüste waren mit Steinen im Mauerwerk verkeilt und so ausgerichtet, dass die Geschützmündungen zwischen den Zinnen hindurch auf die Ebene hinunterzeigten. Veronika erschauerte. Sie hatte bereits viel von diesen Höllengeräten gehört. Gábor hatte ihr erklärt, dass sie mit Hilfe einer Substanz namens Schwarzpulver imstande waren, Steinkugeln weit durch die Luft zu schleudern, doch noch nie hatte sie eines von ihnen im Einsatz gesehen. Zwischen den Kanonen, respektvoll Abstand haltend, traten nun die Schützen an. Einige von ihnen trugen mannshohe Langbögen aus Eibenholz, doch die meisten waren mit Armbrüsten bewaffnet, deren Bolzen auch eine Rüstung durchschlagen konnten. Die Schützen selbst hatten sich metallene Brustharnische umgeschnallt, um sich gegen die Geschosse des Feinds zu schützen. Darunter trugen sie ein buntes Flickwerk an Kleidung. Jeder Mann musste sich von seinem Söldnergehalt selbst ausstatten, hatte Gábor Veronika einst erklärt. Hinter den Schützen hatte sich die einheimische Miliz postiert, Männer aus der Stadt und dem Umland, die Michael in den letzten Monaten noch mit einigen seiner besten Ritter hatte üben lassen. Sie waren keine Söldner, sondern Männer, die ihre Frauen und Kinder schützen wollten. Ihre finsteren Mienen zeugten von dem Wissen, dass sie mehr schlecht als recht für einen Kampf gegen die osmanische Elite der Janitscharen gerüstet waren. Veronika biss sich auf die Lippen. Viele von ihnen würden wohl ihr Leben verlieren.
Zwischen ihnen blitzten die Rüstungen der Ritter auf, die meisten Visiere noch nach oben geklappt, um einen besseren Blick über die Ebene zu haben. Es waren zweihundert christliche Krieger, und viele von ihnen schien Michael so gut wie Brüder zu kennen. Vor einem Monat waren noch zwei Dutzend Ritter des Deutschen Ordens zu ihnen gestoßen. Sie kamen aus Preußen und sprachen ein fremdartiges, hartes Deutsch, das Veronika kaum verstand. Sie blieben stets unter sich und schienen sich weniger den Menschen als einzig ihrem heiligen Gelübde zu Armut, Keuschheit und Gehorsam verpflichtet zu fühlen. Der Großmeister des Ordens hatte sie persönlich ausgewählt und nach Belgrad beordert, um bei der Verteidigung der Stadt zu helfen. Veronika und Miklos hatten sie bei ihren Kampfübungen beobachtet und waren sich sicher, dass einer von ihnen es wohl mit einem Dutzend Türken gleichzeitig aufnehmen konnte. Ihre weißen Umhänge mit den aufgestickten schwarzen Kreuzen leuchteten nun zwischen den anderen Männern hervor.
»Glaubst du, es kommt heute noch zum Kampf?«, fragte Veronika. Miklos schüttelte den Kopf.
»Hauptmann Szilagyi lässt die Männer nur aufmarschieren, um den Feind einzuschüchtern. Die Türken werden erst einmal Lager und Geschützgräben errichten, bevor sie den Angriff wagen. Schau dort, hinter den Wäldern!« Er zeigte landeinwärts nach Osten hinüber. Veronika kniff die Augen zusammen.
»Ist das Rauch?«
»Ja, der Rauch von brennenden Dörfern und aufgewirbelter Staub. Das türkische Landheer.«
»Es kommt rasch näher«, rief sie entsetzt. »Sie wollen die Stadt in die Zange nehmen.«
Miklos nickte nur, die Augen zwei funkelnde Aquamarine. Veronika verstand seine Ruhe nicht.
»Michael muss sie daran hindern!«
»Er tut gut daran, die schützende Deckung nicht zu verlassen. Jeder seiner Männer muss gegen zehn Türken bestehen. Auf offenem Feld wären wir verloren.« Miklos trat einen Schritt vom Fenster zurück in den dämmrigen Schatten des Zimmers. »Er hat mich bei den Schützen eingeteilt.«
Veronika war es, als zöge sich der eiserne Ring, der sich um die Stadt zu schließen begann, auch um ihr Herz. Sie war über Miklos’ Ankündigung jedoch nicht überrascht.
»Wie gern würde ich auch etwas tun, um die Türken zu bekämpfen«, sagte sie. »Stattdessen bin ich nur eine unnütze Esserin mehr in diesen Mauern.«
»Sag das nicht.« Miklos griff nach seinem Mantel. »Frag den Hauptmann, er wird sicher eine Aufgabe wissen, bei der auch Frauen anpacken können.«
Veronika zuckte nur mit den Schultern. Sie hatte Michael schon gefragt und er hatte ihre Bitte lächelnd zurückgewiesen, doch das sagte sie Miklos nicht. Er war in Gedanken schon auf den Mauern, das sah sie seiner abwesenden Miene an.
»Pass auf dich auf«, sagte sie stattdessen. Sie verschränkte die Arme. »Und nutze deine Wolfsaugen, um ein paar Pfeile dorthin zu schießen, wo es dem Feind am meisten weh
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