Mondherz
erschallten, die Banner flatterten, und die Horden rollten den Hang hinauf auf Belgrad zu.
Die Belgrader Schützen hoben ihre Langbögen. Still und anmutig glitten die gefiederten Pfeile durch die Luft, beschrieben eine Kurve und sanken auf das herannahende Heer nieder. Doch die Türken stockten nicht. Sie kamen näher, schreiend, stolpernd, und nun schossen die Armbrüste, und Bolzen flogen auf die Türken zu. Weitere Männer starben. Veronika sah, wie ein Bolzen einen Türken ins Gesicht traf, so dass er in einem Sprühnebel von Blut hintenüberstürzte. Es folgten jedoch immer weiter Männer nach, und als ein Dutzend von ihnen von einer neuen Salve der Armbrustschützen niedergemäht wurde, sprangen die Überlebenden einfach über die Toten und Verletzten hinweg und liefen weiter auf den Festungsgraben zu. Veronika schwindelte es, ihre Nase war erfüllt vom Blutgeruch. Sie wollte die Augen vor dem Grauen dort unten verschließen, doch sie konnte es nicht. Die Wölfin in ihr übernahm das Kommando, und ihre Hände krallten sich fest in den Stein des Fenstersimses.
Haltet sie auf,
wollte sie rufen, doch kein verständliches Wort kam über ihre Lippen. Ihr Zorn überwältigte sie, übertrumpfte sogar die Angst, die sich seit Tagen in ihrem Herz festgesetzt hatte. Ein Knurren drang tief aus ihrer Kehle. Wie konnten sie es wagen, ihr Rudel zu bedrohen! Sie fletschte die Zähne, beugte sich vor, als ob sie selbst die Feinde zurückscheuchen könnte.
Die Kirchenglocken begannen, wieder zu läuten. Die Lunten der ungarischen Kanonen wurden gezündet. Fünf riesige Flammen zuckten aus den Mündungen hervor. Der Knall schlug wie eine Faust gegen Veronikas Ohren und hallte von den bleichen Mauern der Festung wider. Die Menschen auf den Mauern verschwanden hinter einer Rauchwolke. Doch auch die hastig in Stellung gebrachten Kanonen der Türken feuerten nun. Der Wall erbebte unter dem Aufprall der Steinkugeln, und Veronika schrie, ohne ihre eigene Stimme in dem Lärm hören zu können. Sie sah durch den Qualm, wie ein Brandgeschoss von einem türkischen Katapult in einem Bogen über die Mauer geschleudert wurde. Es schlug in ein Schwarzpulverfass der Belgrader Kanoniere ein.
»Nein«, stöhnte sie und riss die Hände zum Mund. Das Fass explodierte mit einem Knall, der lauter war als der lauteste Donner. Ein heißer Windstoß schleuderte Steine und Menschen zur Seite, prallte mit einem Pfeifen gegen die Mauern und trieb ihr Tränen in die Augen. Sie hustete, ihre Kehle brannte vom Rauch, und dennoch blieb sie am Fenster. Innerhalb weniger Momente wurde ein Teil der christlichen Festung zum Flammenmeer. Brennende Männer stürzten von den Mauern hinab. Ihr Schmerzgeschrei schrillte in Veronikas Ohren, während die erste Angriffswelle des türkischen Heers auf den Burggraben traf und über hastig improvisierte Brücken auf die Festung zuwalzte. Doch nun stürmte die Belgrader Miliz nach vorne, brüllend vor Wut und das Feuer ignorierend. Jene Türken, die über schwelende Leitern die brennende Mauer erklimmen konnten, wurden von Lanzen aufgespießt und ohne Gnade zurück in den Abgrund geworfen. Die Kanonen der Festung donnerten mit neuer Kraft über dem Hügel, und auch am Fluss unten jaulten ungarische Kanonenkugeln über den Booten. Sie schlugen schreckliche, blutige Breschen in die Flotte der Türken.
»Treibt sie zurück«, schrie Veronika. Sie spürte kaum, wie der grobe Stein ihre Haut aufriss, während sie mit den Fingern über den Fenstersims kratzte. Ihre Gedanken flogen zu Miklos, der gerade kämpfte, im Rauch, der seine Augen tränen ließ, und im Lärm, der seine Ohren betäubte. Trotz seiner wölfischen Sinne war auch er nicht unverwundbar. Gestern hatte er noch behauptet, dass die Türken für ihren ersten Angriff nicht ihr ganzes Heer einsetzen würden. Der erste Vorstoß würde nichts weiter als einen Test darstellen, hatte er gesagt, mit dem Ziel, die Stärke der Mauern einschätzen zu lernen. Wenn er recht hatte, mochte sie sich nicht ausmalen, wie ein ernsthafter Angriff aussehen würde. Wie lange würden sie standhalten können? Ein paar Tage? Eine Woche? Doch wenn sie nicht durchhielten, bis Hunyadis Heer eintraf, war diese Frage hinfällig – denn dann würden sie alle sterben.
Mittags verebbte der Angriff, nur ein kleineres Scharmützel hielt noch den Hafen in Atem. Langsam legte sich der Staub. Verwundete und Tote wurden geborgen und die Türken, die beim Kampf gefangen genommen worden waren,
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