Mondherz
zum Verhör ins Verlies der Festung geschafft. Michael befahl die wenigen Männer, die nicht beim Kampf eingesetzt gewesen waren, zu Aufräumarbeiten an die Festungsmauer. Es war eine finstere Arbeit, die Leichen der Kameraden zu bergen und in die Kirchen zu bringen. Veronika beobachtete mit Grauen, wie die toten Türken einfach über die Mauer geworfen wurden.
Die meisten Kanonenkugeln der Türken waren an der Festung wirkungslos zerschellt, doch die Explosion des Schwarzpulverfasses hatte eine tiefe Bresche ins Gestein geschlagen. Kriegsknechte schafften neue Steine aus den Mauern der Burggärten heran. In den hinteren Teil der Bresche bauten sie aus Pfählen behelfsmäßige Palisaden. Dahinter schütteten sie alles auf, dessen sie habhaft werden konnten, zerbröselte Steine, Bauholz und große Mengen Erde.
Der Anblick all der Zerstörung, die ein einziger Angriff angerichtet hatte, ließ Veronika nicht zur Ruhe kommen. Miklos blieb verschwunden. Wahrscheinlich brauchte er nach den Kämpfen erst einmal Ruhe. Etwas anderes wagte sie nicht zu denken. Ihre Fingerknöchel klopften ein fiebriges Stakkato auf dem Fenstersims.
Endlich brach der Abend herein, und mit ihm kam Miklos, Kleidung und Haar vom Mauersand verstaubt, doch ausgeruht und mit klarem Blick.
»Wie geht es dir?«, fragte sie trotzdem. Er zuckte nur mit den Schultern und grinste.
»Was sagen die Leute über den Kampf? Hast du etwas von Michael gehört?«, sprudelten die Fragen aus ihr hervor.
»Die Türken haben keinen Fuß in die Stadt bekommen und mehrere hundert Männer verloren. Bei uns waren es zwei Dutzend, die meisten durch das Feuer auf der Mauer.« Miklos stockte. »Aber beim nächsten Mal wird der Sultan eine klügere Strategie wählen.« Er lehnte sich aus dem Fenster und starrte in die Dämmerung hinaus. »Sieh, sie laden ihre Kanonen wieder«, bemerkte er stirnrunzelnd. Veronika nickte. Auch ihr waren die türkischen Kanoniere aufgefallen, deren verrußte Gesichter in regelmäßigem Abstand hinter den Erdwällen auftauchten.
»Sie werden die Dunkelheit abwarten, um die Kanonen genauer zu positionieren«, sagte Miklos. »Dann werden sie auf die Mauer schießen, bis sie wie trockenes Brot auseinanderbröckelt.«
»Warum tut Michael nichts dagegen?«
»Das tut er doch«, entgegnete er. »Er hat uns Schützen in Schichtdienste eingeteilt, und jede Handlung der Türken wird genau überwacht. Morgen früh habe ich Dienst. Ich werde auf jeden Türken schießen, der so unvorsichtig ist, seine Deckung zu verlassen.« Er schnaubte voller Grimm.
»Sollten wir nicht besser die türkischen Kanonen zerstören?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Sie sind durch die Erdwälle zu gut geschützt. Michael wird abwarten und versuchen, die Schäden möglichst gering zu halten.«
Warten.
Für Veronika klang das wie Hohn.
»Ich kann nicht mehr lange warten«, sagte sie jäh. »Zwei Tage noch, doch dann muss ich mich verwandeln, der Trieb ist jetzt schon stark.«
»Ich weiß.« Miklos nickte. »Man merkt es dir bereits an.«
Sie wusste, was er meinte. Schweiß, der schärfer roch als sonst, Unruhe und abrupte Bewegungen, die andere Menschen erschrecken konnten, weil sie ihnen unnatürlich ungestüm vorkamen.
»Was soll ich tun?« Sie packte ihn am Arm. »Ich kann doch nicht hier die Gestalt wechseln. Und wenn ich den Tunnel nutze, laufe ich direkt den Türken in die Arme.«
»Der Hauptmann hat uns verboten, den Tunnel zu betreten. Die Türken dürfen den Geheimgang niemals finden. Aber in Gábors Gemächern gibt es für solche Fälle eine Kammer. Dort findet dich niemand.«
»Zeig sie mir«, verlangte sie.
Sie verließen die Burg und gingen durch das Gewühl der Ritter über den Hof, folgten der Festungsmauer am Küchengebäude und der Marienkapelle vorbei bis zur Kaserne der Söldner, die einst eine prachtvolle Bibliothek gewesen war. In einem der Nebenflügel des Gebäudes verfügte Gábor über zwei Räume. Veronika war noch nie dort gewesen. Ihre Nerven vibrierten vor Anspannung, als sie das Reich der beiden Männer betrat.
Die zwei Räume waren mehr als zwei Mannslängen hoch. Die Wände waren von Truhen gesäumt, deren blankgescheuerte Griffe von ehrwürdigem Alter zeugten. Wunderschöne Fresken zierten die Decke, eine Jagdszenerie, die Veronika staunend betrachtete. An den Wänden hingen Teppiche, weich und dunkel, die dem Raum einen grünen Schimmer verliehen.
»Gábor hat die Teppiche aufhängen lassen, um den Hall zu
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