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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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Blick. Der Wolf in ihm tobte und knurrte. Er wollte diesem Mann die Kehle aufreißen, so sehr verachtete er das, wofür er stand.
    Nur aus den Augenwinkeln registrierte er, dass weitere Männer stehen blieben und das Geschehen beobachteten.
    Angst war es, die ihn bremste. Die Angst, die er unerwartet in den Augen des Betrunkenen las, als dieser erkannte, dass er tatsächlich angegriffen werden würde. Jäh hielt Gábor inne und brachte sein Wolfsblut mit ein paar Atemzügen wieder unter Kontrolle. »Schlaf gefälligst deinen Rausch aus«, rief er, »bevor du es wagst, dich einen Osmanen zu nennen!«
    Zu seiner Erleichterung fingen die Umstehenden an zu lachen, während der Betrunkene zwar murrte, doch eingeschüchtert genug war, um den Kopf dabei gesenkt zu halten.
    Gábor packte die Zügel seiner Stute und ging weiter, mit eiserner Miene und dem Herz voller Unruhe. Beinahe hätte der Wolf ihn übermannt und seine ganze Mission in Gefahr gebracht, und das erschreckte ihn zutiefst.
    Es dunkelte bereits, als er unterhalb des Geröllfelds ankam. Immer noch befand er sich inmitten des Lagers, doch er war froh festzustellen, dass das dichte Buschwerk rund um die Felsen noch stand. Als er näher kam, erkannte er warum. Betäubend stieg ihm der beißende Gestank in die Nase. Die Türken hatten die Büsche zu einer Latrine umfunktioniert.
    Er führte seine Stute in einem weiten Bogen daran vorbei, bis er an eine abgezäunte Koppel gelangte. Unter einem falschen Namen bezahlte er dem Stallmeister das Futter für zwei Tage im Voraus. Sorgfältig leerte er die Satteltaschen. Es war eine Schande, das brave Tier hier zurückzulassen, doch eine andere Möglichkeit gab es nicht. In den Wirren des Krieges würde der Stallmeister sicher nicht nach einem verschwundenen Pferdebesitzer suchen, sondern schnell einen anderen, dankbaren Abnehmer für die Stute finden.
    Bei einigen Huren erstand Gábor ein karges Mahl, dann wartete er, bis es dunkel war. Niemand beachtete ihn, als er sich schließlich vorsichtig einen Weg durchs übelriechende Buschwerk bahnte und wie ein Schatten in der Nacht verschwand.
    Ohne Zwischenfälle gelangte er in den unterirdischen Gang. Tief unter den Mauern hielt er nur kurz inne, um sich umzukleiden, dann eilte er weiter. In der Festung war es ruhig. In einigen Mauerscharten glommen heruntergebrannte Fackeln, Wachen wisperten leise, und ein paar Ratten huschten aufgeschreckt vor seinen Schritten davon. Er beachtete sie nicht. Bestürzt sah er sich um. Schien die Festung von außen noch nahezu intakt zu sein, war der Schaden, den die Kanonen angerichtet hatten, im Inneren deutlich zu sehen. Die Geschosse hatten tiefe Krater ins Mauerwerk geschlagen. Einer der schlanken Wachtürme an der Westseite war nicht mehr da. Nur noch eine mannshohe Ruine zeugte von der Stelle, an der er in sich zusammengestürzt war. Dächer waren beschädigt und nur notdürftig geflickt worden. Aber wenigstens heute Nacht schienen die Türken den Beschuss ausgesetzt zu haben.
    Er eilte zu seinen Gemächern. Trotz des anstrengenden Ritts der letzten Tage verspürte er kein Bedürfnis nach Schlaf. Zu dringlich waren die Dinge, die er mit Michael Szilagyi besprechen musste. Vorher wollte er jedoch wissen, dass es seinen Schülern gutging. Am liebsten wäre er gleich in die Frauengemächer gestürmt, um sich davon zu überzeugen, dass Veronika friedlich in ihrem Bett schlief. Doch er schlug sich dieses nicht eben schickliche Ansinnen aus dem Kopf. Für heute Nacht musste es reichen, Miklos zu finden. Leise öffnete er die Tür zu den Gemächern, die er sich mit ihm teilte. Auf der Schwelle blieb er stehen. Jemand war hier, und es war nicht Miklos. Er hielt den Atem an, als er den Duft erkannte.
    Veronika.
    Mit wenigen Schritten war er im Raum und sah ihre zarte Gestalt auf seinem Bettlager. Wie ein stilles Gemälde lag sie da, ihre Haut schimmerte im Mondlicht. Der Schlaf hatte ihr lockiges Haar zerzaust, und ihr Gesicht war so wunderschön, dass er einen plötzlichen Schmerz in der Brust verspürte. Bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte sein Wolf ihn schon zu ihr geführt. Er sank neben ihr auf die Knie. Ihre Wölfin schien ihn sogleich wahrzunehmen, denn mit einem leisen Seufzen schlug Veronika die Augen auf. Das bewölkte Grau ihres Blicks erinnerte ihn zuerst an das Meer an einem stürmischen Tag, doch jäh glätteten sich die Wogen und sie erkannte ihn.
    »Gábor!«, rief sie, und ehe er wusste, wie ihm geschah, warf sie

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