Mondherz
glanzvoller aus, als er sich fühlte. Wie seltsam, dass er nach all den Jahren als der osmanische Hauptmann auftrat, der er nach dem Ansinnen seiner türkischen Ausbilder hätte werden sollen.
Gemächlich ritt er durch das Lager der Versorgungstruppen und sah sich aufmerksam um, während die Fußgänger vor ihm zurückwichen. Er hatte in seiner Verkleidung keine Mühe gehabt, diesen Teil des Lagers zu betreten, denn zahlreiche Kämpfer nutzten die momentane Angriffspause, um kleinere Besorgungen auf dem Basar zu erledigen. Überall schwärmten fliegende Händler herum und verkauften neben allerlei praktischen Utensilien gewiss auch das eine oder andere Gran Opium. Schneider und Ärzte hatten ihre Zelte aufgeschlagen, vor deren Eingängen die Kunden Schlange standen. Ein Stück weiter arbeiteten Schmiede an riesigen Feuerstellen und stellten eiserne Geschosskugeln her. Gábor kam an Kunsthandwerkern vorbei, die Glücksbringer verkauften, und Pastetenbäckern, die kleine Öfen über ihren Feuerstellen errichtet hatten. Respektvoll musterte er die Säbel aus Damaszener Stahl, die ein Waffenhändler anbot. Eine einzige dieser Waffen war wertvoller als ein ganzer Bauernhof. Ihre Klingen waren so scharf, dass sie ein Seidentuch im Flug zerteilen konnten.
Wie bei den Christen gab es auch bei den Moslems eine Vielzahl von geschäftstüchtigen Männern und Frauen, die den Heeren in der Hoffnung auf reiche Gewinne folgten – und nicht selten handelte es sich auf beiden Seiten sogar um die gleichen Händler.
Ungehindert passierte er einen weiteren bewachten Durchgang und befand sich nun im Lager der Fußsoldaten, die auf dieser Seite der Kuppe lagerten. Es wimmelte nur so von Menschen, also stieg er ab und führte das Pferd am Zügel. Aufmerksam lauschte er den Gesprächen, war jedoch froh, dass kaum einer ihn ansprach. Obwohl sein eingerostetes Türkisch ihn kaum verraten würde, denn die meisten Männer radebrechten in einem wilden Sprachengemisch. Doch in der Sprache der Feinde zu reden, war ihm verhasst.
Der Abend dämmerte bereits, als er sich dem Hügel näherte, auf dem Belgrads Mauern schimmerten. Die Breschen in dem hellen Mauerwerk sahen aus der Entfernung aus wie hässliche Brandflecken. Immerhin stand der Großteil der Festung noch, Veronika und Miklos sollte es also gutgehen. Er atmete tief durch und konzentrierte sich auf den nächsten Schritt. Vor wenigen Wochen hatte auf dem Gelände, über das er jetzt ging, noch Wald gestanden, doch die Türken hatten die meisten Bäume gefällt, um daraus Palisaden zu errichten, die ihr Heerlager schützten. Er hoffte nur, dass die Dornenhecken und das Geröllfeld unterhalb der Felsen noch ausreichend Schutz für den geheimen Einstieg boten, den er zu nehmen gedachte.
»He!«
Jemand packte ihn am Arm und unterbrach damit abrupt seine Gedanken. Mit einem Satz fuhr er herum und schubste den Fremden zur Seite. Der Mann stolperte. Sein Wams war geflickt und an vielen Stellen zerrissen, und in der Hand hielt er einen Lederschlauch, aus dem Wein tropfte. Sein Atem roch schlecht, ein Schwall von Alkoholdampf, Fäulnis und dem sauren Gestank nach Erbrochenem.
Nur ein Betrunkener. Erleichterung durchfuhr Gábor. Er verschränkte die Arme und verzog angewidert das Gesicht. »Was willst du?«, fragte er scharf auf Türkisch.
Der Mann rülpste und hob seinen Weinschlauch. »Dem werten Herrn ’nen Schluck Wein anbieten«, lallte er. »Kommt nich’ oft vor, dass sich’n Hauptmann ins Lager verirrt.« Er grinste und zeigte dabei eine Reihe schwarz verfaulter Zähne.
Gábor kniff die Augen zusammen. Wut und Ekel stiegen in ihm auf. Der Mann sprach mit ungarischem Akzent. Zudem würde sich kein Türke so weit erniedrigen, betrunken durch die Öffentlichkeit zu wanken und Männer von höherem Rang zu belästigen. Demnach hatte er einen abtrünnigen Christen vor sich, einen, der sich wahrscheinlich aus Geldgier den Osmanen angedient hatte. Grollend erwachte der Wolf in ihm.
»Verschwinde, Elender«, zischte er, »bevor ich dir die Kehle durchschneide!«
Er ließ die Zügel seiner Stute los und griff nach dem Dolch in seinem Gürtel. Der Betrunkene riss die glasigen Augen auf und wich so hastig zurück, dass er erneut stolperte.
»Is’ ja gut«, lallte er und stützte sich an einem der Wegpfosten ab. »Wollt’ doch nur gastfreundlich sein, wie ’n Türke eben.«
Gábor erwiderte nichts, sondern trat nur drohend einen Schritt näher. Ein roter Schleier legte sich über seinen
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