Mondherz
sicher, dass dir niemand gefolgt ist?«
»Natürlich.« Der andere klang gekränkt. »Denkst du etwa, dass ich gar nichts gelernt habe?«
»Was weiß ich. Geh jetzt, bevor dich jemand sucht.«
Veronika hob den Kopf, die Hände zu Fäusten geballt. Lautlos zog sie sich zurück, ehe der Junge aus dem Haus trat. Erst als sie in eine Seitengasse einbog, wagte sie wieder, frei zu atmen. Entschlossen strebte sie auf die Festung zu. Sie war sich sicher, dass das, was sie gehört hatte, von großer Wichtigkeit war. Michael musste davon erfahren.
»Verräter.« Michael schlug mit der Hand auf den Tisch. Im nächsten Moment schien es jedoch, als würde sein Zorn von Zweifeln ersetzt. »Wenn das, was Ihr gehört habt, kein dummer Jungenstreich war.«
»Das hätte ich bemerkt«, erwiderte Veronika. »Es war mitten in der Nacht, und die Jungen waren für einen Streich viel zu nervös. Und einer von ihnen sprach türkisch.« Sie sprach den letzten Satz mit Nachdruck.
Michael fuhr sich durchs Haar, reckte seine mächtigen Arme, als müsse er sich der Kraft in ihnen vergewissern. Er trug nur ein leichtes Gewand, und sein Haar sah durchwühlt aus. Veronika spürte die Hitze, die von ihm ausging, seine Anspannung, die wie ein Flirren in der Luft lag. Seit der Belagerung lauerte sein Wolf noch dichter unter der menschlichen Oberfläche als vorher. Die Härchen in Veronikas Nacken richteten sich auf. Auch ihre eigene Wölfin war präsenter als sonst. Seit Tagen war sie wachsam, fast schon überreizt angesichts der stets so nahen Gewalt des Krieges. Und heute war so viel passiert. Veronika holte tief Luft. Ihr Blick wanderte über den Tisch, über rasch hingeworfene Skizzen der Belagerung. Michael hatte allein darüber gebrütet, als sie seine Gemächer betreten hatte. Es musste wahrlich schwierig sein, eine ganze Stadt zu verteidigen.
Aber sie konnte endlich helfen! Sie richtete sich auf. Michaels blaue Augen ruhten mit verwirrender Intensität auf ihr. Er zögerte wohl noch, ihr zu glauben.
»Gábor hat mir beigebracht, nicht nur Bücher, sondern auch Menschen zu lesen«, sagte sie.
Michael taxierte sie weiterhin, dann grinste er plötzlich. »Dann hat sein Unterricht tatsächlich erste Früchte gezeigt«, meinte er. »Danke, dass Ihr so aufmerksam wart, und dass Ihr gleich zu mir gekommen seid. Ich sorge dafür, dass in fünf Tagen jedes Stadttor doppelt gesichert ist.«
Sie nickte. Erleichterung und auch ein bisschen Stolz durchströmten sie.
Michael schob ihr einen Becher mit Wein hin. »Soll ich Euch etwas zu essen bringen lassen?«
»Nein danke.« Sie nahm einen tiefen Schluck, dann erhob sie sich. Sie verbrachte gerne Zeit mit Michael, doch heute waren ihre Schultern verspannt vom langen Sitzen, und nach all den Sorgen um Miklos sehnte sie sich nach der Ruhe ihrer Kammer. »Wenn Ihr erlaubt, ziehe ich mich zurück.«
Er stand ebenfalls auf und kam um den Tisch herum. So dicht stand er vor ihr, dass sie zu ihm aufschauen musste.
»Macht Euch nicht so viele Sorgen.« Er zwinkerte ihr zu. »Wir werden die Schlacht gewinnen.«
Er meinte es gut, doch es waren nichts als Worte. »Habt Ihr von Graf Hunyadi gehört?«, fragte sie.
»Bisher nicht. Aber er wird rechtzeitig da sein, ich kenne meinen Schwager.« Beruhigend strich er über ihren Arm, bis zu ihrer Schulter hinauf. Dort verharrte seine Hand. »Mädchen, Euer Rücken ist ja härter als Stahl.« Seine Augen suchten ihren Blick. »Wollt Ihr etwa allein die Last der Welt auf den Schultern tragen?« Er schüttelte den Kopf. »Bleibt so stehen.« Er trat hinter sie.
Als seine Hände über ihren Rücken strichen, zuckte sie zusammen.
»Keine Angst«, murmelte er. Sein Atem streichelte ihr Haar. »Schließt die Augen und entspannt Euch.«
Sie zögerte. Sie fühlte sich tatsächlich so erschöpft, als trüge sie ein Zentnergewicht an Gedanken mit sich herum. Schließlich senkte sie die Lider. Es tat gut, dass sich jemand um sie sorgte. Michaels Berührungen waren so warm und angenehm, und die Gegenwart seines Wolfes war auf entspannte Weise sinnlich. Ihre Wölfin knurrte behaglich.
»So ist es gut«, murmelte er. Sie spürte seinen Herzschlag, roch seinen herben Geruch, eine Spur metallischer als jener von Miklos, der heller und zimtiger war, doch nicht so dunkel wie Gábors Duft. Michaels Kraft roch sie darin, seine unverwüstliche Lebendigkeit, die Schutz und Sicherheit versprach. Als gäbe ein Gewicht in ihrem Inneren nach, ließ sie den Kopf nach hinten
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