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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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waren die Gassen öde und verlassen.
    »Behalte alles im Auge«, wies er Miklos an. Er musterte den Jungen, der, wie ihm erzählt worden war, nur knapp dem Tod durch eine Kanonenkugel entronnen war. Heute Nacht würde er hoffentlich keiner solchen Gefahr ausgesetzt sein. »Wenn sich jemand nähert, pfeifst du ein Lied.«
    Miklos nickte wortlos. Auch Gábor versank wieder in Schweigen. Spannung lag in der Luft, die seinen Wolf die Ohren spitzen ließ. Er hatte gelernt, seinem Instinkt zu vertrauen, und so verharrte er neben Miklos im Schatten der Zinnen, zwei Gestalten, die mit dem nahenden Dunkel der Nacht verschmolzen.
    Es war Mitternacht vorüber, als im Osten der Stadt die türkischen Kanonen zu donnern begannen. Die Männer wurden unruhig, doch Gábor befahl ihnen zu schweigen. Sie alle spähten über die Dächer nach Osten. Wie monströse Sternschnuppen flogen dort Brandgeschosse über den Himmel, abgefeuert von türkischen Katapulten. Einen Augenblick später begannen die Kirchenglocken der Stadt zu läuten.
    »Sie greifen uns auf der anderen Seite der Stadt an«, rief einer der Bogenschützen und packte seinen Köcher. Er sprang auf, seine Augen glitzerten aufgeregt in der Dunkelheit. »Wir müssen unseren Männern dort zu Hilfe eilen.«
    »Ruhe!« Mit einem Satz war Miklos bei dem Mann und zerrte ihn auf den Boden zurück.
    »Lasst euch nicht in die Irre führen!«, zischte Gábor. »Der Feind wartet dort auf uns.« Er deutete nicht zum Kriegsgeschehen im Osten, sondern nach Westen, über die Mauer hinweg.
    Als hätten seine Worte sie herbeigerufen, erkannte Gábor in diesem Moment die ersten Janitscharen. Es war ein gespenstisches Schauspiel, für Menschenaugen kaum zu erkennen. Wie Schatten schlichen die Türken durchs Buschwerk und an den Festungsgraben heran. Die Brücken waren zwar abgerissen worden, doch seit Tagen hatte es nicht geregnet, so dass das sumpfige Brackwasser im Graben ihnen nur bis zur Hüfte reichen würde. Kein Laut verriet sie, nur manchmal blitzte ein Säbel auf.
    Gábor wisperte eine Warnung an die Schützen, dann eilte er gebückt zum wachhabenden Ritter.
    »Wenn Miklos zu pfeifen beginnt, verhaltet Ihr Euch weiterhin ruhig«, wies er ihn leise an. »Erst wenn wir die Spione dingfest haben, bekommt Ihr von mir das Signal, auf die Janitscharen dort draußen zu schießen. Lasst sie bis dahin ruhig näher herankommen. Umso tödlicher werden Eure Pfeile sein.«
    Gábor eilte über eine Treppe in die ebenerdig liegende Wachstube. Dort warteten sechs Wachen auf ihn, die auf sein Geheiß ihre Waffen zückten und sich für den Angriff bereit machten. Er schlüpfte durch eine Seitenpforte hinaus in die Dunkelheit. Wenn die Janitscharen ihre Strategie nicht geändert hatten, würden die Jungen in die Wachkammer eindringen und die Männer dort angreifen, die sie müde und unaufmerksam wähnten. Direkt am Tor jedoch würde Arpad selbst die entscheidenden Stöße gegen die zwei letzten Wachen führen. Er war zweifellos weit gefährlicher als die Burschen in seinem Gefolge, und ihn gedachte Gábor aufzuhalten.
    Wie ein Schatten huschte er an der Mauer entlang und verbarg sich hinter einem Vorsprung, der seinem Körper gerade eben Deckung bot. Sein Atem ging leise und ruhig, und der Wolf in ihm verfiel in das gespannte Warten eines Raubtiers. Er schloss die Augen und lauschte. Die Kirchenglocken dröhnten noch immer, das Donnern der Kanonen im Osten war inzwischen jedoch wieder verstummt.
    Trotz seiner übermenschlichen Sinne hörte er die Schritte erst, als der Mann bis auf einen halben Steinwurf heran war. Dahinter erklang das Trappeln anderer Füße. In diesem Moment pfiff Miklos auf der Mauer oben eine Melodie, die nur mit einiger Mühe als ein bekanntes Trinklied zu erkennen war.
    Gábor hielt den Atem an. Die jungen Janitscharen stellten sich beim Schleichen bereits geschickt an, doch ihr Anführer war ein wahrer Meister darin.
    Gegen die Lautlosigkeit eines Werwolfs konnte jedoch auch dieser Mensch nicht bestehen, und ohne Gábor zu bemerken, schlich der Mann nur eine Armlänge entfernt an ihm vorbei. Er trug einfache Leinenkleidung und hatte struppiges dunkles Haar, das ihm wirr ins Gesicht fiel. Ein schmaler Dolch glänzte unter seinen Fingern. Kurz vor der Mauerecke, hinter der sich das Tor verbarg, blieb der Mann stehen.
    Mit einem Satz war Gábor heran. Er trat ihm mit dem Fuß die Waffe aus der Hand. Der Mann fuhr keuchend herum. Sein schweißiger Geruch fuhr Gábor stechend in die

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