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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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zugleich ging ihm etwas anderes nicht aus dem Sinn. Er hätte heute selbst an Arpads Stelle sein können, wenn er damals nicht geflohen wäre. Diesen Gedanken verabscheute er zutiefst. Mit festem Schritt ging er zurück in die Wachstube, wo sich die Männer bereits zum Aufbruch rüsteten. Arpad stand zwischen zwei Wachmännern und hatte die Hände auf den Rücken gefesselt. Sein Blick folgte Gábor, und als dieser an ihm vorbeiging, wandte er den Kopf, um ihm hinterherzusehen.
    »Ich kenne dich«, rief er jäh. »Bei Allah, du bist es! Auch wenn du älter aussehen müsstest.« Er begann zu grinsen.
    Gábor fuhr zu ihm herum. Sein Atem stockte, als er in diesem Grinsen den Jungen wiedererkannte, dessen Scherze damals die beste Medizin gegen Heimweh gewesen waren.
    »Wie kommt es …«, setzte Arpad an. Doch Gábor schlug ihm mit der Faust in den Bauch. Keuchend sackte der Türke zusammen. Als er sich wieder aufrichtete, war das Grinsen einer zornigen Grimasse gewichen.
    Mit steinerner Miene blickte Gábor ihn an. »Ich sagte, du sprichst nur, wenn ich es erlaube, Türkenbastard«, fuhr er ihn an, und die Wachleute murmelten zustimmend. Sie zerrten Arpad mit sich, der sich nur widerwillig fügte. Er richtete seine Augen erneut auf Gábor. Nun lag in seinem Blick eine kühle Kalkulation, die Gábor beunruhigte. Niemand sollte erfahren, dass sie sich kannten. Schnell wandte er sich ab, doch es war zu spät.
    »Gábor«, rief Arpad laut und deutlich aus. »Freund aus Kindertagen!«
    Die beiden Wachleute verharrten, und ihr überraschtes Schweigen veranlasste Gábor, sich ihnen wieder zuzuwenden. Er zog die Augenbrauen hoch und musterte Arpad grimmig. »Ich kenne ihn nicht. Schafft ihn fort«, befahl er.
    »Das kannst du nicht tun, Gábor! Einst haben wir uns versprochen, füreinander einzustehen.«
    Arpads Stimme klang flehentlich, doch Gábor wusste es besser. Der Türke wollte spielen. Er ballte die Fäuste. »Du wirst sterben, Spion, so oder so.« Sein Tonfall war kalt wie Eis. »Aber wenn du jetzt nicht schweigst, wird deine Hinrichtung eine äußerst schmerzvolle sein.«
    »Wird sie das?« Der weinerliche Tonfall war abrupt wieder verschwunden. Arpads Augen funkelten, und etwas darin gefiel Gábor ganz und gar nicht. »Hast du vergessen, dass du einer von uns warst? Denk an deinen Vater, Gábor, den Türkenhauptmann. Inzwischen weiß ich, wer er ist. Es wäre doch schade, wenn ich seine Identität mit ins Grab nähme, oder?« Er grinste boshaft.
    Gábor wurde schlecht. »Schafft ihn fort«, brüllte er die beiden Wachen an. »Schafft ihn aus meinen Augen, bevor ich euren Ungehorsam dem Hauptmann melde!«
    Sie taten, was er sagte, und brachten Arpad weg, der sich nun ohne Widerstand abführen ließ. Doch Gábor sah die Blicke, die die Wachen wechselten. Viele von ihnen wussten, dass er ein halber Türke war, und manch einer in der Stadt traute ihm deshalb nicht. Schon jetzt wisperte man hinter vorgehaltener Hand über ihn, und die Ereignisse dieser Nacht würden die Gerüchte nur umso lauter werden lassen.
    Er zog eine grimmige Miene und setzte sich an den Tisch der Wachstube, leerte mit raschen Schlucken einen Krug Wasser. Sein Vater? Was fiel Arpad ein, jetzt damit anzufangen! Er musste wahnsinnig sein, zu glauben, dass der Name eines unbekannten Türkenhauptmanns für Gábor heute noch irgendeine Bedeutung hatte. Mit größter Mühe hielt er sich davon ab, hinter ihm herzustürzen und ihm den Hals umzudrehen.
    Als er bereits wieder im Treppengewölbe war, auf dem Weg nach oben zu Miklos und den Schützen, hörte er einen Schrei. Er drang nur gedämpft durch die Gassen, aber er vernahm ihn klar genug, um ihn als das zu erkennen, was er war: der Schrei eines Sterbenden. Er fuhr herum und rannte wieder hinunter, drei Stufen auf einmal nehmend, durch die Wachstube hinaus in die dunklen Gassen. Der Wolf führte ihn in einen Seitenweg, der bergan Richtung Festung führte, und dort fand er die beiden Wachen. Einer war tot, ein Dolch war bis zum Heft in seine Brust gerammt. Der andere lebte noch, er hielt sich die Seite, aus der ein steter Fluss Blut auf den Boden rann.
    »Er ist weg«, stöhnte er. »Der Gefangene, er hat die Fesseln abgestreift und uns angefallen wie der Teufel selbst!« Sein Gesicht war im Mondlicht fahl vor Schmerz.
    »Wo ist er hin?«, rief Gábor.
    »Die Gasse weiter entlang, dann nach Osten«, röchelte der Verletzte, und Gábor spürte, wie das Lebenslicht in dem Mann langsam erlosch. Wie hatte er

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