Mondherz
Hölle zurückgetrieben.
Veronika glaubte nicht daran. In den Tagen vor Hunyadis Ankunft hatte sie die verzweifelten Kranken gesehen, die vom Tor zur Oberstadt zurückgetrieben worden waren. Selbst die Ikone der Gottesmutter, die immer noch gütig vom Torbogen auf die Unterstadt hinabblickte, hatte die Wachmänner nicht davon abgeschreckt, mit aller Härte dafür zu sorgen, dass die Seuche von der Festung der Oberen fernblieb. Vielleicht war die Pestilenz auch der Grund, warum Hunyadi das Hauptlager der Kreuzfahrer auf der anderen Seite des Flusses aufschlagen ließ, in dem kleinen Dorf Semlin.
Die Türken verdoppelten währenddessen den Beschuss der Belgrader Mauern. Fast ohne Unterlass donnerten in den nächsten Tagen die Kanonen, und Veronika hatte das Gefühl, dass ihre Ohren wund waren vom dumpfen Gebrüll der Geschosse. Aus ihrem Turmfenster konnte sie mit ansehen, wie Hunderte Türken bei dem Versuch ihr Leben ließen, die tiefen Burggräben mit Baumstämmen und Fässern zu füllen, um endlich in die Stadt zu gelangen. Doch Hunyadi und Michael taten alles, was zur Verteidigung nötig war. Die christlichen Kanonen erwiderten getreulich das Feuer, und die Bogenschützen der Kreuzfahrer standen unermüdlich auf den Bastionen, um nur keinen Türken die steilen Wälle erklimmen zu lassen. Auch Miklos hielt dort die Stellung, so dass Veronika ihn kaum zu Gesicht bekam. Nachts jedoch wurde Hunyadis wahre Strategie deutlich.
Während im Schutz der Dunkelheit die Mauerschäden ausgebessert wurden, beobachtete Veronika neugierig das heimliche Treiben. Ganz unauffällig wurden mehr und mehr Männer von Semlin in die Stadt übergesetzt, die sich weder auf den Schiffen noch auf der Mauer zeigten, um die Türken über ihre wahre Zahl zu täuschen. Inzwischen füllten sie die Straßen der Unterstadt, und die Festung schien schier aus allen Nähten zu platzen. Jeder Mann wurde von den Belgradern freudig begrüßt. Und obwohl Hunyadis dreißigtausend Mann, von denen sich inzwischen wohl zwölftausend in der Stadt befanden, einer dreifachen Übermacht entgegentreten mussten, obwohl die Seuche weiterwütete und einige der Mauern unter dem Dauerbeschuss immer mehr Ruinen glichen, erfüllte eine hoffnungsvolle Stimmung die Gassen der Stadt.
Bisher hatte Graf Hunyadi allerdings keinen Angriff auf das osmanische Heer befohlen, und manche Kreuzfahrer murrten bereits ungeduldig. Doch Miklos hatte Veronika erklärt, dass die Verteidiger kaum eine andere Wahl hatten. Wenn sie sich den Türken auf offenem Feld stellten, waren sie ihnen an Waffen und Männern unterlegen. Vorerst konnten sie nur aus dem sicheren Mauerring heraus hoffen, die Feinde zu zermürben. Und doch wartete das Hauptheer in Semlin, bereit, über die Donau zu setzen und die Türken bei einem Großangriff auf die Stadt ihrerseits anzugreifen.
Am Nachmittag des 20 . Juli stellten die Türken das Kanonenfeuer ein. Veronika wusste, was dies bedeutete, und sie hörte es auf den Mauern raunen: Die Türken bereiteten einen neuen Sturm vor. Die Spannung lag wie eine Gewitterwolke in der Luft, die auf die Gemüter drückte und das Atmen erschwerte. Veronika hielt es nicht mehr in ihrer Kammer aus.
Gábor hatte sie geheißen, die sicheren Frauengemächer nicht zu verlassen. Gábor, der ihr seit Tagen aus dem Weg ging. Sie wollte nicht an ihn denken. Sie wollte, nein, sie musste endlich all die Männer aus der Nähe sehen, die sich nun auf dem Hof der Festung und auf den Bastionen für den großen Angriff rüsteten und bereit waren, ihr Leben für die Verteidigung der Stadt zu geben. Zu diesem Anlass ließ sie sich von ihrer Magd in hellen Barchent kleiden, ein schlichtes Gewand, das jedoch unterhalb der Brust mit einer Borte aus goldenem Brokat abgesetzt war.
Ehrerbietig machten die Männer Platz, als sie über den Hof der Festung ging. Ritter, Bogenschützen, Knappen und einfache Bauernsöhne. Graf Hunyadi selbst war in der Unterstadt unterwegs, hörte sie jemanden erzählen, wo er wie jeden Tag an den Mauern nach dem Rechten sah. Der Geruch nach Männerschweiß und Lagerfeuer lag in der Luft, durchtränkt vom ranzigen Gestank des Schweinefetts, das als Poliermittel für die Waffen gebraucht wurde. Die meisten Kriegsknechte waren damit beschäftigt, ihre Ausrüstung in Ordnung zu bringen. Knappen eilten vorbei, um ihren Herren Nahrung und neue Kleidung zu bringen, Mönche versorgten Wunden und Söldner putzten ihre Kettenhemden, die immer Gefahr liefen, vom Schweiß
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