Mondkuss
Trauer, Wut und Enttäuschung. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Kehle stiegen. Wütend versuchte sie, seinen Arm abzuschütteln. „Lass mich sofort los. Du hast mich nach Strich und Faden belogen! Ich will dich nie mehr sehen. Hörst du? Und wage es nicht, Kontakt zu mir aufzunehmen.“ Ihre Stimme war brüchig. Sie spürte, wie ihre Tränen an den Wangen hinabrollten. „Bitte, Marleen, gib mir eine Chance. Ich möchte dir alles erklären. Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte dir sagen müssen, dass ich Callboy bin. Aber ich hatte Angst. Angst, dich zu verlieren.“ Sie lachte bitter auf. „Diese Angst wirst du nie wieder haben müssen, denn du hast mich verloren.“ Sie riss sich von ihm los und eilte auf ein wartendes Taxi zu. Rafael blieb nur noch der Anblick des davonfahrenden Taxis.
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Eine Stunde später saß er bei Helena und Leonard, die seinen Worten betroffen lauschten. „Manchmal reicht ein Moment … ein einziger Moment, um ein Kartenhaus, das man liebevoll aufgebaut hat, zusammenfallen zu lassen. Ein Moment, der dir all deine Hoffnung nimmt, all das Lächeln, das du den ganzen Tag im Herzen getragen hast.“ Rafael vergrub seinen Kopf in den Händen. „Derartige Bosheit hätte ich Sarah nie zugetraut.“ Leonards Augen glommen ärgerlich auf. „Ja, es ist erschreckend, wozu Menschen unter dem Deckmantel angeblicher Liebe fähig sind. Wie sie intrigieren, zerstören, Unwahrheiten verbreiten.“ Helena beugte sich vor, legte ihre Hand auf Rafaels Schulter. „Sprich mit Marleen. Mach ihr klar, welch abgekartetem Spiel ihr erlegen seid.“ „Davon will sie nichts wissen. Für sie zählt lediglich die Tatsache, dass ich Callboy bin. Sie will mich nie mehr sehen.“ „Dann schreib ihr. Schließlich hast du seit einiger Zeit keine Aufträge als Callboy mehr angenommen. Wirst es ja auch in Zukunft nicht mehr tun.“ „Schreiben … ja … das wäre eine Möglichkeit.“ Er atmete tief durch. Sein leerer Blick füllte sich mit wachsender Entschlossenheit. „Ich werde um diese Frau kämpfen. Um jeden Preis.“
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Zu Hause angekommen, bemerkte Marleen das rote Lämpchen ihres Anrufbeantworters. Sie zwang sich, das eindringliche Blinken zu ignorieren, begrüßte stattdessen ihre Katzen und machte sich auf den Weg ins Badezimmer, um sich ein Bad einzulassen. Den Drang, die Nachricht ihres Anrufbeantworters abzuhören unterdrückte sie, wenn auch unter Anstrengung. Sie ließ heißes Wasser in die Wanne, gab duftendes Rosenöl hinzu und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Bilder der letzten Wochen und Monate spulten vor ihrem inneren Auge ab. Die erste Begegnung, der erste Kuss und die Tage voller Glück, die folgten. Marleens Atem ging stoßweise, ihr Herz pochte und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Erstarrt saß sie auf dem Wannenrand, umklammerte die Badeölflasche, als wäre sie ein Rettungsanker, während Bäche von Tränen an ihrem Gesicht herunterliefen. Das Schrillen des Telefons riss sie aus ihrer Starre. Sie zuckte zusammen, und vor Schreck glitt ihr das Badeöl aus den klammen Händen. Der Anrufbeantworter sprang an, die Stimme Ruths erklang. Erleichtert atmete sie auf, ließ die Freundin jedoch weiter auf das Band sprechen. Ihr war nicht nach einem Gespräch zumute.
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Auf ihrer Armbanduhr war es kurz vor zweiundzwanzig Uhr. Die nächtliche Stadt vibrierte vor Leben. Aus allen Richtungen strömten die Leute in Bars, Restaurants, zum Kino oder zu einem heimlichen Date. So wie sie. Zum ersten Mal.
Nervös blickte Sabina sich um, strich über ihr Seidenkleid. Noch nie zuvor hatte sie sich zu einem Blind-Date verabredet, dementsprechend aufgeregt war sie. Es war ein spontaner Entschluss gewesen, sich beim Surfen im Internet auf eine Singleplattform zu wagen. Ein Entschluss, der teilweise aus aufrichtiger Neugier und der wachsenden Lust auf eine Beziehung gewachsen war, teilweise aber auch aus Trotz. Sie hatte Kathrins Sticheleien satt, hätte sich allerdings lieber die Zunge abgebissen als zuzugeben, dass sie sich mehr und mehr nach einem Partner sehnte. Lieber wollte sie ihre Freundinnen eines Tages mit einem netten Mann an ihrer Seite überraschen.
Nach wochenlangem Mailaustausch, unzähligen Telefonstunden und viel Herzklopfen sollte es nun zum ersten Treffen kommen. Wie Martin aussah, wusste sie nicht. Sie hatten keine Bilder ausgetauscht, was dem Begriff Blind-Date eine besondere Bedeutung zumaß.
Treffpunkt war Tischnummer einundzwanzig in einer Szenebar der
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