Mondkuss
Richtung Marleen und ein koketter Augenaufschlag zu Rafael. Dieser begann innerlich zu beben, als er Marleens eisigen Blick auf sich ruhen sah. Er spürte, wie ihm das Herz zu zerspringen drohte. Fühlte, wie ein inneres Zittern sich seiner bemächtigte, und es in seinen Ohren so laut rauschte, dass er kaum noch einen anderen Ton wahrnahm, als diese monotonen Ohrgeräusche. Stumm stand er da. Tatenlos. Gelähmt. „Stammkundin?“ Marleens Pupillen weiteten sich. Sarah lachte schallend auf. „Oh, habe ich hier womöglich in ein Wespennest gestochen? Rafael, wie kannst du nur? Du hättest der Lady sagen müssen, dass du ein Callboy bist. Lügen haben kurze Beine – wusstest du das nicht?“ Rafael blieb wie erstarrt. Er wurde blass, während Sarah triumphierend grinste. „Du bist was?“, stieß Marleen ungläubig hervor. „Sag, dass das nicht wahr ist.“ „Tja“, höhnte Sarah, „er hat wohl nicht den Mut gefunden, Ihnen die Wahrheit zu sagen, Frau … wie war Ihr Name?“ Sie klang zufrieden. Hämisch. „Ich … Marleen … hör mir zu. Ich kann dir alles erklären. Es …“ „Sag, dass das nicht wahr ist.“ Sie flüsterte diese Worte mit tränenerstickter Stimme und einem dicken Klos im Hals, der ihr das Gefühl gab, an jedem einzelnen Buchstaben ersticken zu müssen. Rafael atmete durch. Ein tiefes Bedauern lag in seinem Blick, als er ihren ungläubigen Augen begegnete und seinen Kopf schüttelte. „Ich bin Callboy. Tut mir leid. Aber ich hatte weder eine Verabredung mit Sarah, noch habe ich vor, weiterhin …“ „Dir tut es leid?“, unterbrach ihn Marleen ungläubig. Ihre Stimme bebte, die Augen füllten sich mit Tränen, und ihre Fäuste trommelten ohne Unterlass auf Rafaels Brust. „Du Schuft, du Vorstadtcasanova. Ich verfluche den Tag, an dem ich dir begegnet bin.“ Sarah verschränkte die Arme vor der Brust und nahm die unheilvolle Atmosphäre schadenfroh in sich auf. „Bitte … Marleen, so hör mir doch zu. Ich kann …“ „Ich glaube, ich habe alles gehört, was notwendig ist“, warf sie eisig ein. Mit tiefer Verachtung sah sie ihn aus gleichsam traurigen und wütenden Augen an. „Du verkaufst deinen Körper? Schläfst für Geld mit anderen Frauen … und Männern?“ „Ja – beziehungsweise es war so, denn ich …“ „Du hast mich zum Narren gehalten. Und dies ist dir hervorragend gelungen. Ich dachte, du teiltest meine Gefühle und Sehnsüchte. Nie hätte ich geglaubt, dass du … ach was … es ist alles gesagt.“ „Nein. Bitte, hör mir zu, Marleen … Liebes … ich …“ Sie brachte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen. „Nenne mich nie wieder ‚Liebes’. Was willst du hier noch erklären? Willst du mir etwa weismachen, dass all das Gesagte nur ein böser Traum war?“ Heiser lachte sie auf. Mit einem: „Ich wünsche den Herrschaften noch einen angenehmen Abend und außerdem viel Spaß beim bevorstehenden Schäferstündchen!“, verließ sie die Szenerie und war alsbald verschwunden. Erst jetzt war Rafael zu einer Reaktion fähig. „Das hast du ja fein eingefädelt“, fuhr er Sarah an. „Das ist also deine Definition von Freundschaft, ja?“ Trotzig warf sie ihren Kopf in den Nacken. „Würde sie dich wirklich lieben, wäre sie trotz allem an deiner Seite geblieben. Schau mich an. Ich liebe dich, obwohl ich weiß, wie du deinen Lebensunterhalt verdienst. Du hast etwas Besseres verdient – als sie.“ „Ich entscheide immer noch selbst, wen ich in mein Leben lasse und wen nicht. Du jedenfalls wirst in Zukunft nicht mehr dazugehören. Ich habe dir und deinen Worten vertraut und mir damit mein eigenes Grab geschaufelt. Und nun raus!“ Sarahs triumphierendes Lächeln schwand. „Rafael … bitte … es ist doch … ich liebe dich. Und nur deshalb …“ „Ich sagte raus!“ „Wenn sie dich wirklich lieben würde …“, setzte sie erneut an. Fast trotzig. „Ich will dich nie wieder sehen. Verschwinde!“ Seine wild funkelnden Augen und der unerbittliche Ton ließen sie resignieren. Ein letzter, flehender Blick, und sie räumte das Feld.
~~~ Rafael eilte Marleen hinterher. Sie konnte noch nicht weit sein, denn sie waren gemeinsam mit seinem Wagen gekommen. Sie war also zu Fuß.
„Marleen, ich … bitte lass uns von hier verschwinden, irgendwohin, wo wir in Ruhe miteinander reden können, damit ich dir das Ganze erklären kann.“ Sie beschleunigte ihre Schritte, doch er blieb ihr auf den Fersen, hielt sie am Arm zurück. Ihr Herz raste vor
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