Mondkuss
lag eine Andeutung von Traurigkeit. Sie streckte ihre rechte Hand nach dem Mond aus, der purpurfarben, voll und rund durch das Fenster schien. „Es gefällt euch?“ „Was für eine Frage. Es ist perfekt. Stimmungsvoll und sehr eingängig.“ „Außerdem scheinen die Farben auf den Betrachter überzuspringen, ihn zu betören und nicht mehr loszulassen. Du bist ein Genie!“ „Hach, ihr tut mir gut. Okay, dann zeige ich euch nun den zweiten Teil.“ Sie lüftete die nächste Leinwand. Es war genau das gleiche Bild, nur diesmal in warmen Grüntönen, und anstelle des Mondes stand ein schöner, dunkelhaariger Mann vor dem Fenster, der seine Hand genau an die Stelle des Fensters drückte, an der von innen die Hand der Frau lag. „Wo nimmst du die Unmengen an Schattierungen von nur einer Farbe her? Erst der Traum in Violett, nun dieses facettenreiche Grün. Es ist phänomenal!“ Kathrin blickte verzückt auf die beiden Bilder. „Oh, ja“, ergänzte Sabina. „Ein Traum. Der Zyklus trägt diesen Namen zu Recht. Mach bloß ganz schnell weiter.“ „Leichter gesagt als getan, denn mir fehlt das gewisse Etwas – die Auflösung – das perfekte Finale.“ „Lila/violett ist der letzte Versuch, grün ist die Hoffnung und am Ende siegt rot, die Liebe. Das fällt mir dazu ein.“ Sabina betrachtete die Bilder von allen Seiten. „Das dritte Bild sollte also in Rottönen gehalten werden, wenn der Zyklus ein Happy End in sich tragen soll, in gedämpften Grautönen, wenn die Trauer siegt.“ „Ein guter Ansatz.“ Helena freute sich. „Ich wusste, dass ich einen Zyklus malen will, habe mir aber kein Konzept angefertigt, sondern einfach drauflos gemalt, mich von meiner inneren Eingebung treiben lassen. Das Konzept könnte tatsächlich in diese Richtung laufen.“ „Hey“, warf Kathrin ein. „In ein paar Wochen findet doch eine Feier anlässlich des fünfjährigen Bestehens von ‚Beauty Secrets’ statt. Ein passender Anlass, um den Zyklus zum ersten Mal zu präsentieren. In einem kleinen Rahmen, so als Aperitif für deine zweite Vernissage.“ Kathrin führte einen Sexshop. Ein Reich der Lust für die moderne Frau. Es war ein Shop mit Stil und besonderem Flair, gehörte also nicht zu den gewöhnlichen Sexshops, die man in Großstädten an jeder Ecke fand, sondern bot ein Ambiente, in dem frau sich wohl fühlt. Neben Sexspielzeugen, Erotikratgebern und Dessous bot Kathrin außerdem diverse Massagen und Maniküren für ihre Kundinnen an. Von außen mutete der Shop eher wie ein Beautysalon, denn wie ein Sexshop an. Zu ihrer Kundschaft gehörten die verschiedensten Altersklassen und Gesellschaftsschichten. Von jungen Mädchen, über Hausfrauen bis hin zur erfolgreichen Börsenmaklerin war fast alles vertreten, und nicht selten kamen die Frauen zu Kathrin in den Laden, um sich alles von der Seele zu reden, sich wertvolle Tipps zu holen oder aber einfach auf ein Gläschen Sekt – zum gemütlichen Plauderstündchen. Dies wiederum nahm Kathrin zum Anlass, ihre Liebe zur Esoterik mit einzubinden. Sie legte ihren Kundinnen Tarotkarten, setzte ihr Pendel ein und arbeitete mit Runen. Ein Rundum-Paket für die interessierte Frau. „Mädels, ihr inspiriert mich“, rief Helena erfreut. „Dein Shop-Jubiläum ist ein passender Rahmen, um meine Bilder zum ersten Mal zu präsentieren. Da ich mein Bild ‚Todsünde’ schon in Rot gehalten habe, werde ich mir für den dritten Teil des Zyklus allerdings etwas anderes ausdenken. Ich habe auch schon eine Idee!“ „Oh je, wenn dieses Funkeln in deine Augen tritt, bedeutet es, dass es sein kann, dass du die ganze Nacht hindurch vor deiner Staffelei sitzt und dich so lange austobst, bis das Bild in seinen Grundmauern steht. Armer Leonard.“ Kathrin lachte fröhlich. „Schön, dass die Muse zurückkehrt.“ „Das kannst du laut sagen. Und was Leonard betrifft, so wird er sich für mich mitfreuen. Außerdem ist es uns ein lieb gewonnenes Ritual geworden, unser Nachtlager während dieser Extrem-Kreativ-Phasen hier im Atelier aufzubauen. Genug Wein und Leckereien, uns genüsslich miteinander zu beschäftigen, wenn ich gerade keinen Pinsel schwinge, das sind die ganz besonderen Momente.“ Kathrin stieß einen leisen Pfiff aus. „Hört sich gut an! Sogar sehr gut.“ „Es wird Zeit! Seid ihr mir böse, wenn ich mich nun von euch verabschiede? Die Muse klopft an meine Tür, und ich möchte ihr Einlass gewähren – allein. Ist das okay für euch?“ „Wir sind schon weg!“ Kurze Zeit
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