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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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ebenso direkt zu antworten: »Dein Vater hat uns gebeten, dich eine Zeit lang fortzulassen. Er will, dass du über Radzyn nach Stronghold heimkehrst und dann mit ihm und deiner Mutter zum Rialla reist.«
    Pols jungem Gesicht war die Aufregung abzulesen. »Nach Hause? Wirklich?« Als ihm auffiel, sie könnte ihn missverstehen, setzte er schnell hinzu: »Das heißt, es ist natürlich schön hier, und ich werde Euch und Lord Chadric und meine Freunde vermissen …«
    »Wir werden dich ebenfalls vermissen, Pol«, lächelte Audrite ihn verständnisvoll an, »aber nach dem Rialla wirst du ja wieder mit uns nach Graypearl ziehen und deine Ausbildung fortsetzen. Du weißt, dass es nicht üblich ist, dass ein Knappe Ferien bekommt und seine Erziehung zum Ritter und Edelmann unterbrechen darf. Meinst du, du hast bereits so viel gelernt, dass du Prinz Lleyn Ehre machen kannst?«
    Pol grinste breit: »Wenn nicht, so wird mein Vater wissen, dass die Schuld ganz allein bei mir liegt.«
    Audrite lächelte amüsiert. »O ja, als du damals bei uns ankamst, haben wir einen langen Brief über dich erhalten.«
    »Aber da war ich doch noch ein Kind«, versicherte er und vergaß dabei völlig seine jüngste Schandtat. »Ich bringe niemanden mehr in Verlegenheit, das ist alles lange her.« Er hielt inne und schaute auf die See hinaus. »Allerdings muss ich dann wohl das Meer überqueren, nicht wahr? Ich hoffe, ich kann mich besser beherrschen als beim ersten Mal.«
    Die Prinzessin fuhr ihm durch das Haar. »Du brauchst dich nicht dafür zu schämen, Pol. Du solltest stolz darauf sein. Alle Lichtläufer büßen nicht nur ihr Frühstück, sondern auch ihre Würde ein, wenn sie über Wasser reisen.«
    »Aber ich bin ein Prinz, und ich sollte mich besser im Griff haben.« Er seufzte. »Na gut. Einmal nach Radzyn und zurück, das wird schon nicht so schlimm werden.«
    »In zwei Tagen fährt ein Seidenschiff nach Radzyn. Prinz Lleyn hat bereits einen Platz für dich reserviert. Meath soll dich begleiten.«
    Pol zog eine Grimasse. »Dann können wir wenigstens gemeinsam die Fische füttern.«
    »Wahrscheinlich will die Göttin euch Faradh’im , auf diese Weise Demut lehren! Geh ruhig gleich nach oben und fang an zu packen.«
    »Natürlich, Herrin. Und morgen …«, er zögerte, »dürfte ich da wohl zum Hafen hinunter und Geschenke für meine Mutter und meine Tante Tobin besorgen? Seit ich hier bin, habe ich fast alles gespart, was mir Vater geschickt hat. Ich habe reichlich Geld.«
    Er war auf dem richtigen Weg: Schon jetzt war er großzügig und sorgsam darauf bedacht, den Damen Freude zu machen. Dieses Gesicht und diese Augen würden in nicht allzu ferner Zukunft Herzen brechen, dachte Audrite und genoss die Vorstellung, dass er dann wieder in ihrer Obhut sein würde. »Du und Meath, ihr bekommt morgen frei. Aber ich meine mich zu entsinnen, dass du mir noch irgendetwas schuldest. Wie viele Zeilen waren es doch gleich?«
    »Fünfzig?«, fragte er hoffnungsvoll, um dann seufzend einzugestehen: »Hundert. Bis heute Abend habe ich sie fertig, Herrin.«
    »Wenn du sie mir erst morgen Abend bringst, habe ich dafür Verständnis«, schlug sie vor und erntete dafür wieder ein breites Lächeln und eine dankbare Verbeugung. Und dann eilte Pol die Terrassen zum Palast hinauf.
    Audrite blieb noch ein wenig im Schatten sitzen, bevor sie die Gärten wieder verließ. Geschmeidig und kraftvoll schritt sie aufwärts. Sie war eine leidenschaftliche Reiterin und daher trotz ihrer neunundvierzig Jahre noch schlank und beweglich. Sie öffnete ein Tor und blieb einen Moment stehen, um die Kapelle zu bewundern, die sich dort wie ein Juwel aus den Lustgärten erhob. Es hieß, der Kristalldom an den Klippen der Felsenburg sei die herrlichste Kirche der dreizehn Prinzenreiche. Für sie aber gab es nichts Schöneres als diese Kapelle von Graypearl – und das nicht nur, weil sie so großen Anteil an ihrer Errichtung hatte.
    Von einer Burgruine auf der anderen Seite der Insel hatte man Steinsäulen hierher transportiert, um die Wände aus hellem Holz und strahlend buntem Glas abzustützen. Darüber wölbte sich eine bemalte Holzdecke mit kleinen, ungefärbten Fenstern, die nur scheinbar zufällig angeordnet waren. Man konnte die Kapelle wahrlich als Tempel bezeichnen: erleuchtet vom Feuer der Sonne und der Monde, offen für die Luft, erbaut aus den Schätzen der Erde und umströmt von dem Wasser, das weiter unten die Gärten tränkte. Audrite überquerte die schmale

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