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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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schickte Layla fort, als sie sich wieder in ihren Gemä chern befanden, und das Mädchen machte sich auf die Suche nach Tariq. Sie brauchte nicht lange, um ihn zu finden. Er stand auf der Nordmauer und schaute zur Sabikah hinüber, dem Übungsplatz der jungen Krieger.
    »Wir haben Alscha im Bad getroffen«, sagte Layla und schlüpfte neben ihn.
    Tariq schauderte unwillkürlich ein wenig, dann grinste er. »Hat sie versprochen, dich bei lebendigem Leib zu fressen? «, fragte er. »Sie mag fettes Fleisch lieber«, entgegnete seine Schwester und wich einem Rippenstoß aus. »Du, sie hat erzählt, dass Muhammad zurückkommt.« Sie schwiegen beide.
    Die Zwillinge kannten Muhammad nicht. Vor zwei Jahren war er nach Fez aufgebrochen, angeblich, um seine Erziehung zu vervollkommnen. Aber die Diener erzählten etwas von einem heftigen Streit zwischen Muhammad und seinem Vater; einige behaupteten sogar, der Streit habe zwischen Muhammad und ihrer Mutter stattgefunden. In jedem Fall waren die Zwillinge noch zu jung, um sich an die Zeit vor zwei Jahren erinnern zu können. Doch die anderen Kinder hatten genug von Muhammad erzählt, um ihn wie einen Helden aus dem Märchen erscheinen zu lassen: wie fabelhaft er ritt, wie er jedes Turnier gewann, wie belesen und gelehrt er schon als kleiner Junge gewesen war.
    Und er war Alschas Sohn.
    Und Alscha hasste ihre Mutter.
    »Ich habe eine Idee«, verkündete Tariq plötzlich. »Wir bereiten ein Willkommensgeschenk für Muhammad vor. Dann wird er unser Freund, und Alscha kann nicht länger böse auf uns sein.
    Vielleicht werden sogar Mutter und Alscha Freundinnen.«

    Insgeheim zweifelte Layla daran. Doch Tariqs Begeisterung übertrug sich auf sie; die Vorstellung, ganz allein den Familienzwist zu beenden und so selbst zu Helden zu werden, erschien auch ihr unwiderstehlich.

    Während die Zwillinge ihren Willkommensplänen nachhingen, schmiedete Isabel ihre eigenen Pläne. Muhammads Heirat mit der Tochter des mächtigsten Adligen von Granada, eines Verbündeten der Banu Sarraj, würde seine Position ungeheuer stärken, wie Isabel sehr genau wusste. Zornige Erbitterung fraß an ihr, aber sie ließ sich nichts davon anmerken, als Ali am Abend zu ihr kam. Sie begrüßte ihn liebevoll, servierte ihm Speisen, die er schätzte, und erst später, als sie beide zufrieden zwischen den seidenen Kissen ruhten, sagte sie beiläufig: »Du hast mir noch gar nichts von der Rückkehr deines Sohnes erzählt. Und von seiner Heirat.«
    Ali strich über ihr dunkles Haar. »Es sind jetzt zwei Jahre, Zoraya. Und wahrhaftig, eine Verbindung mit Ali al Atar könnte die Banu Sarraj zu Verbündeten machen.«
    »Zu Verbündeten für Muhammad«, sagte sie schärfer, als sie beabsichtigt hatte, und fügte deshalb mit sanfterer Stimme hinzu: »Ich mache mir Sorgen um dich, mein Geliebter. Muhammad ist jetzt ein Mann, kein Junge mehr, und Männer sind ehrgeizig.«
    »Er ist mein Sohn«, erwiderte Ali und ließ sie los. Sie rührte sich nicht. In der Dunkelheit war ihre körperlose Stimme zärtlich wie eine Umarmung: »Wie viele Söhne, Vettern, Brüder deiner Familie sind gewaltsam auf den Thron gekommen, mein Gebieter? Ich glaube, ich kann mich nur an zwei Emire Granadas erinnern, die nicht von ihren Verwandten entthront wurden.«
    Ali antwortete nicht. Er starrte in die Nacht, mit weit geöffneten Augen, und fand noch lange keinen Schlaf.

    Der sechste Geburtstag der Zwillinge kam und ging. Das Jahr näherte sich seinem Ende, als Abu Abdallah Muhammad, Kronprinz von Granada, zurückkehrte. Die Zwillinge hatten, vom Fieber der Erwartung gepackt, kaum geschlafen und waren schon sehr früh auf die äußeren Mauern geklettert, um die Ankunft ihres Halbbruders nicht zu verpassen. Zu ihrer Überraschung hatte ihre Mutter sie kommentarlos begleitet. Layla drückte sich zwischen zwei Zinnen und starrte auf die weiß würflige Stadt, die sich an die Alhambra schmiegte, hinab. Sie schaute zur Kuppel der großen Moschee, denn aus dieser Richtung drangen die Jubelrufe des Volkes, das Muhammad begrüß te.
    »Wie ein Triumphzug«, stieß Isabel zwischen den Zähnen hervor. Tariq hörte sie nicht, und auch Layla ignorierte zum ersten Mal in ihrem Leben ihre Mutter völlig; die Zwillinge beobachteten beide gebannt Muhammad. Alle drei schwiegen, bis der Kronprinz das erste Tor der roten Festung passiert hatte.
    Fatima hat nicht gelogen, dachte Layla, er sieht aus wie ein Held aus dem Märchen. Mit dem Bewusstsein, selbst nicht

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