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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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anschaute, und erwiderte seinen Blick. Zum ersten Mal fielen Layla die Linien auf, mit denen die Enttäuschung, die Niederlagen ihn so deutlich gezeichnet hatten wie mit Narben von einem Kampf.
    »Gebt mir die Orange«, murmelte sie in ihrem sanftmütigsten Tonfall. »Ich schäle sie für Euch.«
    Er sagte nichts, doch er reichte ihr die Frucht. Durch den Ritt waren ihre Nägel nicht mehr das, was sie einmal gewesen waren, aber für eine Orange genügte es. Binnen kurzem hatte Layla sie entblättert und bot sie ihm, die einzelnen Scheiben blütenförmig geordnet, auf ihren ausgestreckten Handflächen dar. Die Blüte war nicht ihr Einfall; sie hatte diese Art, eine Orange zu servieren, oft genug in der Alhambra beobachten können. Ein winziges Lächeln erschien in seinen Mundwinkeln, und er nahm sich eine der Scheiben.
    »Siehe, die Gottesfürchtigen kommen in Schatten und Quellen und zu Früchten, wie sie sie begehren«, sagte al Zaghal, und zu Laylas Freude erkannte sie die Sure und sprach weiter: »Esset und trinket zum Wohlsein für das, was ihr getan. Siehe, so lohnen wir den Rechtschaffenen.«
    Ich habe es nicht vergessen, dachte sie und lächelte ihn vor Glück darüber erleichtert an, wenigstens das habe ich nicht vergessen! Der scharfe, frische Geruch des Orangen-Öls an ihren Händen wurde ihr bewusst und damit erkannte sie auch, dass sie zum ersten Mal seit langer Zeit nur diese natürlichen Düfte wahrnahm - den des nassen Laubes, den der Abendwind mit sich brachte, die Essenz der Orangen und, kaum feststellbar, al Zaghal, der ebenfalls ein Bad genommen haben musste. In der Tat, sie hatte die Welt der Christen hinter sich gelassen. Sie bemerkte, dass sie immer noch lächelte und das über Gebühr lange getan hatte. Hastig ließ sie ihre Miene wieder ernst werden.
    Al Zaghal hob eine Braue, sagte aber nichts. Stattdessen nahm er sich noch eine Scheibe. »Wenn ich es mir recht überlege«, meinte er, nachdem er sie verzehrt hatte, »tun mir diese Juden sogar einen Gefallen, wenn sie nach Malaga reisen. Sie könnten ihrem König eine Botschaft von mir übergeben.«
    Layla senkte die Lider, um zu verbergen, wie erleichtert sie war.

    Nach zwei Monaten Belagerung, dachte Fernando von Aragon, sollte Malaga seine ungeheuren Ausgaben in höherem Maße wert sein. Bisher hatten die Christen dank ihrer Kanonen alle Städte, die sie angriffen, ziemlich schnell erobert; doch diesmal genügten die zerschossenen Außenmauern nicht; die Stadt und ihre Zitadelle blieben störrisch. Es war ihm beinahe peinlich, seine gesamte Munition und die kostspieligen Söldnertruppen an ein widerspenstiges, nur eben sehr wichtiges Nest voller Ungläubiger zu verschwenden. Isabellas Anwesenheit hatte Kastilier wie Aragonier zu erneuter Angriffslust aufgestachelt, doch derartige patriotische Gefühle hielten leider nicht sehr lange vor.
    »Euer Hoheit«, der Marquis von Cadiz räusperte sich, »verzeiht, aber möchtet Ihr, dass ich al Zaghal mit meinen Leuten entgegenziehe?«
    »Er kommt nicht«, sagte Fernando kurz. Don Rodrigo runzelte die Stirn. »Die Juden waren sich sicher, dass sein Heer kurz vor dem Aufbruch steht.«
    »Weil er wollte, dass sie das glauben«, schnappte Fernando und fügte in seiner gewohnten sachlichen Art hinzu: »Don Rodrigo, ich weiß, wie gerne Ihr al Zaghal wieder auf dem Feld begegnen würdet, und das ehrt Euch, aber denkt daran, der Mann ist kein Dummkopf. Warum sollte er Abraham Seneor und seine Leute ziehen lassen? Nur, um mir einen Gefangenenaustausch anzubieten? Nein, ich sage Euch, er wollte, dass wir den Eindruck bekommen, er hätte wieder eine einigermaßen starke Armee aufgestellt, und einige unserer Truppen aus Malaga abziehen.«
    Es war demütigend, beinahe auf die List eines Heiden hereingefallen zu sein, doch wahrscheinlich, gestand sich der Marquis ein, hatte der König Recht. Eine derartige Zersplitterungstaktik sah al Zaghal ähnlich.
    »Nein, Don Rodrigo«, sagte Fernando versonnen, »diesem Mann haben wir mit seinem Neffen das Genick gebrochen. Er weiß es nur noch nicht. Und was seine verblendeten Anhänger in der Zitadelle dort angeht - wo Waffengewalt erfolglos war, hat bisher noch immer Geld geholfen.«
    Was der König damit meinte, fand Don Rodrigo Ponce de Leon spät am Abend heraus, als im Schutz der Dunkelheit zwei Bewohner von Malaga in das Feldlager der Christen schlichen.
    Der ältere, von dessen zahlreichen Namen dem Marquis nur ein »Ali« im Gedächtnis blieb, stellte sich als

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