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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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werde den Oberbefehl übernehmen und die Stadt erobern.«
    Was sie ihm verschwieg, war, dass sie die Absicht hatte, sich nicht wie er damit zu begnügen, das Heer im Namen dieses Narren von Kronprinzen, Boluggin, anzuführen. Es gab doch noch mehr zu erreichen als das, was ihr Vater erreicht hatte. Sie würde nicht nur Großwesir sein; sie würde Badis zwingen, sie auch formell als Oberbefehlshaber zu bestätigen. Der Emir hatte sich schon seit Jahren nicht mehr um die Regierungsgeschäfte gekümmert; es blieb ihm gar keine andere Wahl. Ja, es gab noch mehr. Schluss mit den jüdischen Vierteln; sie würde dafür sorgen, dass sie sich überall niederlassen konnten, und ihren eigenen Palast auf dem roten Hügel bauen.
    Der Blick ihres Vaters wurde schärfer, sein Händedruck fester.
    »Denk daran, in deiner Obhut liegt jetzt das Schicksal unseres Volkes. Umkreise den Weinberg, Josef, umkreise ihn, aber komm ihm nicht zu nahe!«

    Layla wachte auf, und das warme, dämmrige Dunkel verwirrte sie. In der Alcazaba war es Winter gewesen und im Schlafgemach ihres Vaters hatte ein Feuer gebrannt… Dann wurde ihr mit einem Schlag bewusst, was sie da dachte. Ihr Vater, Abul Hassan Ali, war vor wenigen Jahren gestorben und nicht in der Hauptstadt. Sie hatte von einem anderen Vater geträumt, von einem anderen Tod, von einem anderen Leben. Und das Schlimmste war, in ihrem Traum war sie nicht ein stummer Beobachter gewesen, nein, sie war der Sohn, und sie hatte sich nicht einmal daran erinnert, dass etwas dabei nicht stimmen konnte.

    »Jusuf ben Ismail«, flüsterte sie in die Dunkelheit hinein, »Jusuf ben Ismail, willst du, dass ich dich hasse?«
    Wie konnte er das tun, sich ihrer Träume zu bemächtigen? Abraham Seneor hatte ihr, als sie sich verabschiedeten, viel Glück gewünscht und einen kurzen Segen über Layla ausgesprochen, und sie hatte den Verdacht, ihn beunruhigte nicht nur ihre unsichere Zukunft bei al Zaghal.
    Was das anging, so hatte al Zaghal sich noch immer nicht entscheiden können, was er mit ihr anfangen sollte. Die Städte Baza, Almena und Guadix unterstanden immer noch seiner Herrschaft, und er hätte sie inzwischen leicht dorthin schicken können, aber er tat es nicht. Er selbst wollte sich nicht auf einen bestimmten Sitz festlegen, um den Christen nicht damit ihr nächstes Angriffsziel vorzugeben. Heimlich vermutete Layla, dass ihm das unstete Heeresleben ohnehin lieber war. Es gab ihm überdies die Gelegenheit, ständige kleine Überfälle jenseits der Grenze zu unternehmen - Nadelstiche für die Christen, die sich, wie er hoffte, langsam zu einer größeren Wunde summieren würden.
    »Man darf ihnen nicht die Gelegenheit geben, in aller Ruhe ihren Feldzug für das nächste Jahr vorzubereiten«, sagte er einmal zu ihr, »man muss sie ständig in Bewegung halten - immer an einem anderen Ort.«
    Wenn seine Ansichten über Frauen nicht in etwa denen Don Sancho Ximenes de Solis’ entsprochen hätten, hätte Layla sich allmählich gefragt, ob er sie nicht einfach gerne in seiner Nähe hatte. Jedenfalls schickte er sie nicht in eine der Städte, sondern nahm sie zu den verschiedenen Orten mit, von denen aus er seine Nadelstiche in Gang setzte. Und er kam überraschend oft zu ihr, um sich mit ihr zu unterhalten. Da Layla niemanden sonst hatte, mit dem sie reden konnte, war sie froh darüber.

    »Weiber! Wenn mein Bruder«, erklärte er ein andermal finster,
    »keine Frauen in seinem Leben gehabt hätte, dann wäre Granada viel erspart geblieben.«
    »Das ist doch Unsinn«, entgegnete Layla aufgebracht. »Die Christen hätten Granada in jedem Fall angegriffen. Und überhaupt - was hätten Alscha und meine Mutter denn anderes tun sollen? Sie hatten keine Schwerter, keine Armeen. Also brauchten sie andere Waffen.«
    Sie hatte nicht geglaubt, dass sie einmal Alscha al Hurra verteidigen würde - sie hätte ihr immer noch am liebsten das Herz aus dem Leib gerissen -, und ihrer Mutter die Art, in der Isabel sie verlassen hatte, zu verzeihen, hatte sie bis jetzt noch nicht fertig gebracht. Aber dieser selbstverständlichen Verächtlichkeit und der Schuldzuweisungen von allen männlichen Seiten wurde sie langsam überdrüssig.
    Al Zaghal gab zurück, man merke ihr die Zeit bei den Christen an, doch er ging nicht. Vielleicht brauchte er nach all den Jahren einfach einen Zuhörer für eine ganze Reihe von Dingen, die sich aufgestaut hatten, jemand, der ihm nicht gefährlich werden konnte. Layla wusste sehr gut, dass ihr

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