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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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beschäftigt war, den schweigsamen Neffen zu spielen, darauf zu achten, dass ihr Maultier sich nicht in irgendwelchem Geröll verfing, und sich überhaupt auf dem störrischen Tier zu halten. Zu allem Überfluss setzten ihre monatlichen Blutungen ein, und sie fragte sich beunruhigt, wo sie die Stofffetzen, die sie verbrauchte, unbemerkt auswaschen konnte.
    Aber alles war besser, als in Cordoba zu sitzen und von dem alten Mann auf die Hochzeit seiner Wahl vorbereitet zu werden.
    Als die Reisenden auf einen Bergsee trafen und Layla zum Wasserholen eingeteilt wurde, war sie mehr als erleichtert.
    Nachdem sie alle Bastbeutel gefüllt hatte, versuchte sie ihr Glück als Wäscherin und stellte fest, dass es selbst bei Don Sancho oder als Suleimans Kindermädchen noch eine Menge Arbeiten gegeben hatte, die ihr erspart geblieben waren. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass Blut sich so schwer entfernen ließ. Schließlich vergrub sie die Fetzen ratlos und beschloss, ein weiteres Stück ihrer Kleidung im Gepäck zu opfern. Danach blieb sie noch etwas länger am Rand des Wassers sitzen und wartete, bis die gekräuselten Ringe sich wieder beruhigt hatten.
    Doch in dem sich glättenden Wasser spiegelte sich nicht ihr eigenes Gesicht wider, sondern das eines Mannes. Es war Jusufs Gesicht mit den schwarzen Haaren, die ihm in die Stirn fielen, den hohen Wangenknochen und den blassen Augen, und es war nicht neben ihr oder über ihr, sondern genau an der Stelle, wo ihr Gesicht hätte sein müssen.
    Sie stand jäh auf, doch da war niemand. »Warte es ab, Ifrit«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Wenn du Krieg haben willst, kannst du ihn bekommen.«
    Sie hörte sein Lachen, doch wie üblich ließ er sich nicht blicken. Entschlossen nahm Layla ihre Wasserflaschen und kehrte zu den anderen zurück. Als alles wieder auf seinen Reittieren saß und man durch eine enge Schlucht ritt, fasste sie sich ein Herz und sprach Abraham Seneor an, leise, damit die anderen es nicht hörten.
    »Don Abraham«, fragte Layla, »gibt es bei euch einen bestimmten Bannspruch gegen Geister?«
    Bisher hatte sie ihn kaum nach etwas gefragt, Was über ihre täglichen Bedürfnisse hinausging, doch wenn die Tatsache, dass sie sich an ihn wandte, den Schatzkanzler überraschte, so zeigte er es nicht. Bei dem Wort »Geister« schossen seine Augenbrauen allerdings in die Höhe.
    »So etwas habe ich mir gedacht«, murmelte er wie zu sich selbst und schaute sie dann prüfend an. »Welche Art von Geistern meinst du, Junge?«

    Die Anrede zeigte ihr, dass er den Rest der Gruppe in Hörweite glaubte, obwohl sie den anderen ein wenig voraus waren.
    Layla hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen und die Worte fanden sich nur schwer. Ihr kam es vor, als müsste sie eine schwierige Stickerei völlig auftrennen, Stich für Stich, ohne den Faden zu beschädigen.
    »Geister von Toten«, antwortete sie zögernd, »von gewaltsam gestorbenen Toten.«
    Abraham Seneor machte eine ungeduldige Handbewegung.
    »Die Seelen von Ermordeten streichen nicht auf der Erde herum, das ist Aberglauben. Adonai nimmt sie zu sich.«
    »Aber ich dachte, es gibt eine Wahl«, sagte Layla kaum hörbar.
    Der Schatzkanzler zügelte jäh sein Pferd. »Es gibt eine Legende«, erwiderte er verhalten, »in der es so heißt. Allerdings nicht bei uns. Die Heiden sprachen von solchen Wesen… Toten, die sich weigern, die Vergangenheit gehen zu lassen… aber sie müssen durch einen lebenden Menschen zurückgeholt werden.
    Und was dabei herauskommt, ist wider die Natur und durch und durch bösartig - Wiedergänger.«
    Layla hatte nicht die Absicht, sich ganz und gar in seine Hände zu begeben. »Eine schlimme Legende«, stimmte sie zu, um Gelassenheit bemüht, »aber heidnisch, wie Ihr meint, und damit wahrscheinlich nicht wahr.«
    Er schien sie nicht gehört zu haben. »Wiedergänger verschwinden erst, wenn sie ihre Ziele erreicht haben oder wenn der Mensch, der sie gerufen hat, tot ist, denn er ist gewissermaßen ihr Lebensspender. So heißt es jedenfalls.«
    Layla war noch dabei, das Gehörte zu bewältigen, als hinter ihnen jemand um Hilfe rief. Sie hielten die Tiere an - Laylas Maultier lief wie üblich noch ein paar Schritte weiter - und drehten sich um. Ihr kleiner Zug war gerade dabei, von Leuten überfallen zu werden, die weniger wie Bergräuber als wie mangelhaft ausgerüstete Soldaten aussahen. Keine christlichen Soldaten, obwohl sie sich immer noch in kastilischem Herrschaftsgebiet

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