Mondlicht steht dir gut
Lange kastanienbraune Kringellocken fielen über ein schmales Satinkissen. Ihre Hände waren über künstliche Maiglöckchen aus Seide gefaltet.
»Ist das nicht bezaubernd? Sieht sie nicht so aus, als würde sie bloß schlafen?« flüsterte Earl. »Und sehen Sie mal«, er deutete auf ein unauffälliges Lesepult aus Silber in der Nähe des Eingangs, »heute würden sich dort die Besucher ins Gästebuch eintragen. Statt dessen habe ich eine Seite aus der Erstausgabe von Emily Posts Buch über die Versorgung der Hinterbliebenen kopiert. Lassen Sie mich es Ihnen vorlesen. Es ist wirklich ziemlich faszinierend.«
Seine Stimme hallte durch den zu stillen Raum:
»›Die Trauernden sollte man dazu anhalten, sich möglichst in ein sonniges Zimmer und dorthin, wo ein Kaminfeuer brennt, zu setzen. Wenn sie sich nicht der Aufgabe gewachsen fühlen, zu Tisch zu gehen, sollte man ihnen eine ganz geringe Menge Essen auf einem Tablett bringen. Eine Tasse Tee oder Kaffee oder Bouillon, ein wenig dünnen Toast, ein pochiertes Ei, Milch, wenn sie warme mögen, oder Milchtoast. Kalte Milch ist schlecht für jemanden, der bereits unterkühlt ist. Der Koch könnte etwas vorschlagen, was üblicherweise appetitanregend auf die Betreffenden wirkt …‹«
Er verstummte. »Ist das nicht bemerkenswert? Wie viele Leute, egal wieviel Geld sie haben, haben heutzutage einen Koch, der sich den Kopf darüber zerbricht, was ihren Appetit anregt? Stimmt’s? Aber ich finde, das würde ein wunderbares Einzelbild zur Erläuterung abgeben, finden Sie nicht? Die Motive für den Anfang und Abspann müssen aber eine größere Bandbreite haben.«
Er nahm sie am Arm. »Ich weiß, daß Sie nicht viel Zeit haben, aber kommen Sie doch bitte mit mir in den ersten Stock. Ich habe da einige großartige Nachstellungen von archaischen Trennungsriten aus uralter Zeit. Festtafeln zum Beispiel. Es hat ganz den Anschein, daß verschiedene Völker von der Überzeugung ausgingen, zum Tod gehöre unbedingt ein Festbankett am Ende der Zeremonie, weil lang anhaltende Trauer das Individuum und die Gemeinschaft schwächt. Ich habe typische Beispiele dafür aufgestellt.«
»Dann ist da meine Beerdigungsabteilung«, fuhr er begeistert fort, während sie die Treppe hinaufstiegen. »Hab ich schon den Brauch eines Stammes aus dem Sudan erwähnt, die ihren Häuptling erstickten, wenn er alt oder schwach wurde? Wissen Sie, das Prinzip war, daß der Herrscher die Vitalität der Nation verkörperte und nie sterben durfte, oder die Nation wäre mit ihm gestorben. Wenn also der Herrscher deutlich anfing, seine Kraft zu verlieren, wurde er insgeheim getötet und anschließend in eine Lehmhütte eingemauert. Dann konnte man davon ausgehen, er wäre gar nicht gestorben, sondern habe sich vielmehr in Nichts aufgelöst.« Er lachte.
Sie waren im ersten Stock angelangt. »Hier in dem ersten Zimmer habe ich die Nachbildung einer Lehmhütte geschaffen. Jetzt aber nur unter uns – ich habe schon mit einem Museum im Freien angefangen, wo der Bestattungsbereich sogar noch wirklichkeitsgetreuer sein kann. Es liegt ungefähr zehn Meilen von hier entfernt. Bis jetzt hab ich schon einige Ausgrabungen machen lassen, im wesentlichen einfach ein bißchen Arbeit mit dem Bulldozer. Ich entwerfe das gesamte Projekt selbst. Aber wenn es fertig ist, wird es wirklich ziemlich phantastisch. An einer Stelle werde ich eine Miniaturnachbildung einer Pyramide haben, mit einem Abschnitt, der durchsichtig ist, damit die Leute sehen können, wie die alten Ägypter ihre Pharaonen zu Grabe gebettet haben, zusammen mit ihrem Gold und ihren unschätzbaren Juwelen, die sie ins Jenseits begleitet haben …«
Der plappert ja nur so, dachte Maggie, während sie ein bleiernes Gefühl des Unbehagens überkam. Er ist verrückt! Ihre Gedanken überstürzten sich, während er sie von einem Zimmer zum nächsten vorantrieb, von einer einem kunstvoll aufgebauten Bühnenbild gleichenden Szene zur nächsten. Earl hielt sie jetzt an der Hand fest und zog sie mit sich, während er durch die Zimmer fegte, um nur ja alles zu zeigen, alles zu erklären.
Sie waren fast am Ende des langen Korridors angekommen, und Maggie wurde bewußt, daß sie noch immer nichts gesehen hatte, was den Glocken glich, die sie auf den Gräbern entdeckt hatte.
»Was haben Sie denn im zweiten Stock?« fragte sie.
»Der ist noch nicht zum Ausstellen hergerichtet«, sagte er geistesabwesend. »Ich benutze ihn als Lagerraum.«
Dann blieb er abrupt stehen und sah sie
Weitere Kostenlose Bücher