Mondlicht steht dir gut
von ein paar anderen Freunden von mir vorbeizuschauen? Ich hab auch für sie ein paar Blumen aufgehoben. Zwei sind hier im St. Mary’s. Die anderen sind im Trinity. Diese Straße führt direkt dorthin. Die Friedhöfe liegen nebeneinander, und der Nordeingang dazwischen ist tagsüber immer offen.«
Es nahm nicht viel Zeit in Anspruch, die fünf anderen Gräber aufzusuchen. Der Grabstein auf dem letzten enthielt die Inschrift: »Constance Van Sickle Rhinelander«. Maggie fiel auf, daß das Todesdatum erst zwei Wochen zurücklag.
»War sie eine enge Freundin?« fragte Maggie.
»Nicht annähernd so vertraut wie Nuala, aber sie wohnte im Latham Manor, und ich habe sie im Lauf der Zeit sehr gut kennengelernt.« Sie verstummte kurz. »Es ist so plötzlich, alles ist so plötzlich passiert«, sagte sie und wandte sich dann mit einem Lächeln Maggie zu. »Ich sollte lieber sehen, daß ich heimkomme. Ich fürchte, ich bin ein bißchen müde. Es ist so hart, so viele Menschen zu verlieren, die einem etwas bedeuten.«
»Ich weiß.« Maggie legte den Arm um die ältere Frau und wurde sich bewußt, wie zerbrechlich sie doch schien.
Während der zwanzig Minuten Fahrt zum Latham Manor zurück döste Greta Shipley ein. Als sie dort eintrafen, schlug sie die Augen auf und sagte: »Früher hatte ich immer so viel Energie. Meine ganze Familie war so. Meine Großmutter war noch mit neunzig ausgesprochen rüstig. Allmählich hab ich den Eindruck, daß ich zuviel bedient werde.«
Als Maggie sie hineinbegleitete, sagte Greta zögernd:
»Maggie, ich hoffe, Sie kommen mich noch einmal besuchen, bevor Sie abfahren. Wann gehen Sie denn nach New York zurück?«
Maggie überraschte sich mit ihrer klaren Antwort selbst:
»Ich hatte vor, zwei Wochen zu bleiben, und genau das werde ich auch tun. Ich rufe Sie vor dem Wochenende an, und dann verabreden wir uns.«
Erst als sie wieder in Nualas Haus war und Wasser aufsetzte, wurde ihr klar, daß sie etwas beunruhigte. Irgendein unbehagliches Gefühl war mit Greta Shipley und ihrem gemeinsamen Besuch der beiden Friedhöfe verbunden. Irgend etwas war nicht in Ordnung. Doch was war es?
20
Liam Moore Paynes Büro lag mit Blick auf den Boston Common hinaus. Seit er seine frühere Börsenmaklerfirma verlassen und sein eigenes Unternehmen gegründet hatte, war er unglaublich beschäftigt. Die angesehenen Kunden, die er in seine Firma mitgebracht hatte, forderten und erhielten seine uneingeschränkte persönliche Aufmerksamkeit, womit er ihr volles Vertrauen gewann.
Er hatte Maggie nicht zu früh anrufen wollen, doch als er sie dann tatsächlich um elf Uhr vormittags anwählte, war er enttäuscht, sie nicht zu erreichen. Danach ließ er seine Sekretärin jede Stunde einen erneuten Versuch machen, doch es war fast vier Uhr, als er endlich die erfreuliche Nachricht entgegennahm, Miss Holloway sei am Apparat.
»Maggie, endlich«, begann er, hielt dann jedoch inne. »Ist das ein Wasserkessel, den ich da pfeifen höre?«
»Ja, warte eben einen Moment, Liam. Ich wollte mir gerade eine Tasse Tee machen.«
Als sie wieder nach dem Hörer griff, sagte er: »Ich habe schon befürchtet, du hättest dich dazu entschlossen, heimzufahren. Würde mich nicht wundern, wenn du dich in diesem Haus nicht wohl fühlst.«
»Ich achte immer drauf abzuschließen«, sagte Maggie, um fast ohne Pause fortzufahren: »Liam, ich bin froh, daß du angerufen hast. Ich muß dich etwas fragen. Hast du gestern, nachdem du mein Gepäck hergebracht hast, mit Earl über mich gesprochen?«
Liam hob die Augenbrauen. »Nein, habe ich nicht. Wie kommst du denn auf die Idee?«
Sie erzählte ihm von Earls plötzlichem Erscheinen an der Küchentür.
»Du meinst, er wollte einfach das Schloß überprüfen, ohne dir überhaupt Bescheid zu geben? Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Doch, genau das. Und ich gebe auch gern zu, daß er mir wirklich Angst eingejagt hat. Es hat mich ohnehin schon genug verunsichert, hier allein zu sein, und daß er dann auch noch einfach auf diese Weise auftaucht … Obendrein fing er irgendwas zu zitieren an, von Trauer, die wie Freude von Gemüt zu Gemüt springt. Es war gespenstisch.«
»Das ist eines seiner Lieblingszitate. Ich glaube, ich hab ihn noch nie einen Vortrag halten hören, bei dem er es nicht verwendet hätte. Ich finde es auch jedesmal unheimlich.«
Liam verstummte, seufzte dann. »Maggie, Earl ist mein Vetter, und ich kann ihn gut leiden, aber er ist ein bißchen sonderbar, und es besteht kein Zweifel,
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