Mondlicht steht dir gut
auf. Mit dem Gefühl, ein Voyeur zu sein, ging er zum Fenster hinüber. Der Vorhang war nur halb zugezogen, und er hatte einen freien Blick auf das, was offensichtlich das Wohnzimmer war.
Ohne zu wissen, wonach er eigentlich suchte, es sei denn nach irgendeinem greifbaren Hinweis, daß Maggie Holloway doch da war, wanderte er um das Haus herum nach hinten und spähte durch das Fenster der Küchentür. Er konnte eine Kaffeekanne auf dem Herd sehen, und daneben waren eine Tasse, eine Untertasse und ein Saftglas umgekehrt abgestellt, was nahelegte, daß sie ausgespült und zum Trocknen hingestellt worden waren. Aber standen sie da schon seit Tagen oder erst seit ein paar Minuten?
Schließlich kam er zu dem Schluß, er habe nichts zu verlieren, wenn er bei einem Nachbarn klingelte und sich erkundigte, ob jemand Maggie gesehen habe. Bei den ersten beiden Häusern, wo er es versuchte, erhielt er keine Antwort. Beim dritten Haus erschien auf das Läuten hin ein attraktives Ehepaar, beide wohl Mitte Sechzig. Als er ihnen rasch erklärte, weshalb er hier war, merkte er, daß er diesmal Glück hatte.
Die Eheleute, die sich als Irma und John Woods vorstellten, berichteten ihm von Nualas Tod und Beerdigung und von Maggies Aufenthalt in dem Haus. »Wir hatten letzten Samstag eigentlich vorgehabt, unsre Tochter zu besuchen, sind dann aber erst nach Nualas Beerdigung losgefahren«, erklärte Mrs. Woods. »Wir sind erst gestern am späten Abend wieder zurückgekommen. Ich weiß, daß Maggie da ist. Ich hab zwar noch nicht mit ihr geredet, seit wir wieder da sind, aber heute früh hab ich gesehen, wie sie zu einem Spaziergang losgezogen ist.«
»Und ich hab sie vor etwa fünfzehn Minuten vorbeifahren sehen«, steuerte John Woods bei.
Sie baten ihn zu einer Tasse Kaffee ins Haus und erzählten ihm von dem Abend der Mordtat.
»Was für ein liebes Mädchen Maggie ist«, sagte Irma Woods mit einem Seufzer. »Ich konnte deutlich sehen, wie schrecklich sie sich den Verlust von Nuala zu Herzen genommen hat, aber sie ist nicht so eine, die Theater machen würde. Der Schmerz stand ihr deutlich in die Augen geschrieben.«
Maggie, dachte Neil. Ich wünschte, ich hätte für dich da sein können.
Die Woods hatten keine Ahnung, wohin Maggie an diesem Morgen gefahren war oder wie lange sie wegbleiben werde.
Ich hinterlasse ihr eine Nachricht, daß sie mich anrufen soll, beschloß Neil. Sonst gibt es nichts, was ich tun kann. Doch dann hatte er eine Eingebung. Als er fünf Minuten später wieder losfuhr, hatte er nicht nur eine Notiz für Maggie an die Tür gesteckt, sondern auch ihre Telefonnummer sicher in seiner Brusttasche verstaut.
41
Als ihr wieder die neugierigen Fragen einfielen, die das Kind ihr wegen der Aufnahmen von Nualas Grab gestellt hatte, hielt Maggie noch bei einem Blumengeschäft an und kaufte alle möglichen Herbstblumen, um sie auf die Grabstellen zu legen, die sie inspizieren wollte.
Sobald sie das Eingangtor des Friedhofs St. Mary’s passiert hatte, schienen genau wie zuvor die willkommenheißende Statue des Engels und die makellos gepflegten Gräber ein Gefühl von Frieden und Unsterblichkeit auszustrahlen. Nach einer Linkskurve folgte sie den Serpentinen bergan, die zu Nualas Grab führten.
Als sie aus dem Wagen stieg, spürte sie, daß sie ein Arbeiter beobachtete, der gerade Unkraut von dem nahegelegenen Kiesweg entfernte. Ihr waren schon Berichte von Raubüberfällen auf Friedhöfen zu Ohren gekommen, aber der Gedanke schwand schnell wieder. Es gab noch weitere Friedhofsgärtner in der näheren Umgebung.
Doch da sich nun tatsächlich jemand in der Nähe aufhielt, war sie froh, daß sie auf die Idee gekommen war, noch die Blumen zu besorgen: Es war ihr lieber, wenn sie nicht den Eindruck erweckte, sie wolle das Grab untersuchen. Sie kauerte sich daneben hin, suchte sechs Blumen aus und legte sie eine nach der anderen an den Fuß des Grabsteins.
Die Blumen, die Greta Shipley am Dienstag dort niedergelegt hatte, waren entfernt worden, und Maggie warf rasch einen Blick auf den Schnappschuß, den sie in der Hand hielt, um genau zu sehen, wo sie das Glänzen eines metallisch aussehenden Gegenstands entdeckt hatte.
Es war ein Glück, daß sie das Foto mitgenommen hatte, denn das Ding, nach dem sie suchte, war tiefer in die feuchte Erde eingesunken und konnte leicht übersehen werden. Doch es war da.
Sie blickte flüchtig zur Seite und stellte fest, daß sie sich der ungeteilten Aufmerksamkeit des Arbeiters gewiß
Weitere Kostenlose Bücher