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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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wollte, nicht sich selbst. Doch nun wusste ich es besser. Sie hatte schon damals die Absicht gehabt, uns zu verlassen.
    Die Klinge glänzte im Mondschein. Ich würde Mutters Dolch gegen mich richten, bevor ich sprang. Diese eine Sache würde ich erfolgreich zu Ende bringen.
    Du bist nicht deine Mutter …
    »Hör auf damit!«, heulte ich. »Hör auf, das zu sagen! Ich weiß es. Musst du mich immer wieder so mit dem Offensichtlichen demütigen?«
    Du hast die Macht, eine andere Entscheidung zu fällen.
    Vor lauter Verblüffung schnappte ich nach Luft. Was meinte sie damit? Ich hatte mein ganzes Leben lang versucht, in die Fußstapfen meiner Mutter zu treten, immer verblich. Was meinte sie mit » eine andere Entscheidung «?
    Ein ketzerischer Gedanke drängte sich in mein Bewusstsein: Was wäre geschehen, wenn Mutter sich anders entschieden hätte? Was, wenn sie entschieden hätte zu leben , statt uns unserem Schicksal zu überlassen? Was, wenn wir nicht von unseren beiden Eltern verlassen worden wären, um ihre Niederlage alleine auszubaden?
    Vielleicht wäre Mutter in Rom hingerichtet worden. Vielleicht hätte man uns zusammen mit ihr getötet. Aber dann wären wir immerhin gemeinsam gegangen und nicht alleine in einem Meer von Verzweiflung und Feindseligkeit ausgesetzt worden. Sie hätte sich dafür entscheiden können, zu bleiben und uns zu beschützen. Sie hätte sich dafür entscheiden können zu überleben.
    Eine Welle von Trauer und Einsamkeit schoss durch meinen Körper und riss an den Wurzeln von allem, was mir in Bezug auf meine Mutter immer heilig gewesen war: dass sie eine Heldin war, dass sie das Richtige getan hatte, dass es keine andere Möglichkeit für sie gegeben hatte. Dass sie einen edlen Entschluss gefällt hatte.
    Das alles richtig gewesen war.
    »Du hättest dich anders entscheiden können, Mutter«, flüsterte ich.
    Und die Wahrheit dieser Erkenntnis ließ mich beinahe auf die Knie sinken. Wie anders alles gewesen wäre, wenn Mutter sich für das Leben entschieden hätte.
    Wofür entscheidest du dich, meine Königin?, flüsterte die Göttin.
    Ich trat von dem glitschigen Rand des Schiffes zurück und spürte, wie meine Zehen nach Halt suchten, als es unter mir schlingerte.
    »Ich entscheide mich für die Macht«, flüsterte ich verwundert und erinnerte mich an die Worte, die ich während meiner Vision benutzt hatte. Damals hatte ich gedacht, ich würde mich für die Macht über Ägypten oder über meinen Feind entscheiden. Oder dass ich unter Anleitung der Göttin zwischen zwei Männern, zwischen Marcellus und Juba wählen sollte. Doch das war gar nicht die Art von Macht gewesen, die sie gemeint hatte.
    Ich starrte zum Mond empor, der nun kleiner und weiter entfernt wirkte und sich auf seiner Bahn über den Nachthimmel befand. Mutter hatte die Flucht in die Arme des Anubis gewählt, doch ich konnte etwas anderes wählen. Selbst nach all dem Schmerz, all den Verlusten, all der Trauer, konnte ich die Macht wählen, mich meinem Leben zu stellen, auch wenn es Wege beschritt, die ich mir nie hätte träumen lassen und die ich mir auch nie gewünscht hätte.
    Ich lachte wieder laut auf – es war kein wahnsinniges Lachen, sondern kam mit dem scharfen Schmerz der Erkenntnis, dass ich diese Art von Macht bislang nicht begriffen hatte. War diese Entscheidung der »freie Wille«, den der alte Rabbi mir in Alexandria zu erklären versucht hatte?
    Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich mich zum ersten Mal ganz klar dafür entscheiden konnte, mein Leben zu leben und nicht das meiner Mutter. Meiner Zukunft mit Würde und Stärke entgegenzugehen, ganz gleich, was in der Vergangenheit geschehen war oder in der Zukunft geschehen könnte, ganz gleich, was ich wollte, meinte haben zu müssen oder verdient zu haben glaubte.
    Ich stieg von der Holztruhe hinunter und blickte auf die wild bewegte, schwarze See hinaus. Ohne nachzudenken, lehnte ich mich zurück und schleuderte den Dolch meiner Mutter mit aller Kraft, die ich noch in mir hatte, aufs Meer hinaus. Die Wellen glätteten sich, als hätte ich, indem ich den juwelenbesetzten Dolch weggeworfen hatte, endlich auch das schwarzhäutige Ungeheuer erlegt, das gedroht hatte, mich ganz zu verschlingen.
    Ich probierte den neuen Gedanken gleich noch einmal: Ich bin nicht meine Mutter.
    Ich konnte mich anders entscheiden.
    Ich konnte mich für das Leben entscheiden.
~  Kapitel 48  ~
    »Es wird Zeit, dass du deinen Verlobten kennenlernst«, flüsterte Zosima

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