Mondmädchen
Seite!«, brüllte er »Da, wo es nach Indien geht!«
~ Kapitel 12 ~
Octavians Männer verfolgten Caesarion – den König von Ägypten, den ältesten Sohn meiner Mutter, den einzigen leiblichen Sohn Julius Caesars – und ermordeten ihn in der Wüste. Mein liebenswerter, sanfter, begabter siebzehnjähriger Bruder, unsere letzte Hoffnung auf Flucht und Überleben, war tot.
Noch bevor wir diese Nachricht wirklich begriffen hatten, nahm Octavian Iotape – riss sie aus den Armen meines schluchzenden Zwillingsbruders – und schickte sie zurück in ihre Heimat. Ihre Familie hatte, wie er uns mit einem hinterhältigen Grinsen verkündete, die Verlobung mit diesem »dem Untergang geweihten Geschlecht der Ptolemäer« gelöst.
Unsere Träume zerbarsten und zerbröckelten um uns herum wie Marmor unter dem Stemmeisen eines Bildhauers.
Wie zuvor verhinderte Octavian jedes Zusammentreffen mit unserer Mutter, sodass wir auch bei ihr keinen Trost suchen konnten, nachdem wir von der Ermordung Caesarions erfahren hatten. Olympus wies uns an, einen Tee aus Mohnsamen zu trinken, bevor wir zu Bett gingen, doch ich weigerte mich. Seit jenem Erlebnis begegnete ich jedem Tee oder Heilmittel, das mir der gute Doktor schickte, mit Misstrauen. Und so warf ich mich die ganze Nacht im Bett hin und her, während meine Brüder schliefen. Bilder von Caesarion tauchten vor meinem inneren Auge auf und wirbelten herum wie Schwalben im Flug: Ein Sonnenstrahl durchschnitt die Dunkelheit des Tempels und erleuchtete seine Kajal-geschwärzten Augen, während er betete; sein Lachen, wenn ich Huckepack auf seinen Rücken sprang, um auf ihm zu reiten; seine vor Konzentration grimmig gerunzelte Stirn beim Lernen; der saubere, nach Gras duftende Geruch seines Umhangs, wenn er von einem Ausritt zurückkam …
Ein Klopfen an der Tür. Katep rührte sich. Ein silbernes Blitzen, als er das Messer herauszog, das er im Gürtel seiner Tunika versteckt hielt. Die Luft wurde aus meinen Lungen gesogen, während mir wieder einmal die Gefährlichkeit unserer Lage bewusst wurde. Die Römer hatten soeben meinen Bruder ermordet. Kamen sie nun, um uns zu holen?
Katep öffnete langsam die Tür. Trotz meiner Angst schlich ich an seine Seite. Ein junger römischer Soldat erschien vor uns und Katep stellte sich schützend vor mich.
»Ich habe eine Nachricht von der Königin«, flüsterte der Römer und blickte sich vorsichtig um. »Sie bittet ihre Kinder zu ihr zu kommen.«
»Woher sollen wir wissen, dass dich wirklich die Königin schickt?«, gab Katep flüsternd zur Antwort.
»Weil sie mich geschickt hat!«, zischte er. »Ich bin hier, obwohl ich es lieber nicht sein sollte, und ich werde euch nicht noch einmal bitten.«
Katep hielt inne. »Die Jungen … haben ein Schlafmittel bekommen. Nur Kleopatra Selene ist wach.«
»Nun denn, wenn sie ihre Mutter sehen will, dann sollte sie lieber mitkommen, und zwar jetzt gleich!«
Er wandte sich um und ging in Richtung von Mutters Gemächern. Ich schoss hinaus, um ihm zu folgen, und Katep packte mich am Arm. »Mondmädchen! Was hast du vor? Es könnte eine Falle sein!«
Ich schüttelte ihn ab. Es war mir egal. Seit jenem schrecklichen Treffen mit Octavian in den Gemächern meiner Mutter waren Wochen vergangen, und er hatte uns seitdem nicht mehr erlaubt, sie zu sehen. Ich nahm an, dass sie beschlossen hatte, sich unserem Peiniger zu widersetzen, nachdem sie von Caesarions Tod erfahren hatte. Katep folgte mir, als ich an die Seite des Wachsoldaten lief. »Wie heißt du?«, fragte ich.
»Cornelius Dolabella«, antwortete er knapp.
Ich blickte zu Katep hinüber. Er hatte mir zuvor erzählt, dass ein junger Soldat namens Dolabella tagsüber meine Mutter bewachte.
»Warum arbeitest du auch nachts?«, fragte ich.
»Ich … ich, äh … habe darum gebeten, auch die Nachtschicht zu übernehmen.«
»Warum?«
Er rieb sich die rotgeränderten Augen. »Darum. Deine Mutter kann im Moment jeden Freund brauchen, den sie kriegen kann.«
»Mutter hat keine römischen Freunde«, bemerkte ich bitter.
Der Soldat wandte sich zu mir, ohne dabei seine Schritte zu verlangsamen. »Das ist nicht wahr. Ich habe versucht, der Königin zu helfen, wo immer es mir möglich war.«
»Oh, die Götter mögen uns beistehen«, murmelte Katep leise vor sich hin. »Das Jüngelchen hat sich in sie verliebt.«
Während wir uns dem Vorzimmer meiner Mutter näherten, wurden Angst und Schrecken immer stärker. »Ich … ich hab’s mir anders
Weitere Kostenlose Bücher