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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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überlegt«, flüsterte ich Katep zu. »Lass uns zurückgehen.«
    Katep blickte mich fragend an. Doch noch bevor ich ihm meine plötzliche Panik erklären konnte, kam Charmion bereits aus dem inneren Gemach, um mich zu begrüßen. Die große, schlanke Charmion war immer eine äußerst gepflegte Erscheinung gewesen, die dunklen Haare so frisiert, dass keine Strähne verrutschte, die Kleidung makellos und elegant. Die Frau, die nun vor mir stand, war nur noch ein Schatten der Hofdame, dich ich gekannt hatte. Ihr Haar hing lose herab und war mit grauen Strähnen durchwebt; ihr dunkles Gewand war zerknittert und voller Flecken. Noch schlimmer war ihre leicht gebeugte Haltung, als zöge sie sich vor Schmerz in sich zusammen wie eine verwelkte Blüte, die kurz davor steht, vom Zweig zu fallen.
    Der Anblick dessen, was der Kummer bei ihr angerichtet hatte, jagte mir einen weiteren Schreckensstoß durch den Körper. Ich wusste, wie sehr sie Caesarion geliebt hatte. Wie viel schlimmer musste das Leid meiner Mutter sein? Ich konnte es nicht ertragen, ihren Schmerz, ihre völlige Erniedrigung mitanzusehen. Ich würde es nicht überleben. Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Ich wandte mich um und wollte aus dem Raum fliehen, mein Atem ging stoßweise, doch Katep legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.
    »Nicht weglaufen, Kleiner Mond«, flüsterte er mir ins Ohr. »Sie braucht dich.«
    Ich fing an zu zittern. Charmion forderte mich auf, ihr in die Schlafkammer meiner Mutter zu folgen und Katep blieb zurück – ob er mich damit am Davonlaufen hindern oder als zweiter Wachmann fungieren wollte, war mir nicht klar. Als ich mich zu ihm umwandte, bedeutete er mir mit einer Kopfbewegung weiterzugehen. Ich hatte das Gefühl, als steckte ein Klumpen aus klebrigem Brot in meiner Kehle fest.
    In Mutters stillem Schlafgemach flackerten die Flammen zweier kleiner Bronzelampen scheinbar im Einklang mit dem wilden Pochen meines Herzens. Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen und blickte überall hin, nur nicht direkt zu meiner Mutter. Ihr Uräus-Diadem glitzerte auf einem kleinen Tischchen, wobei der Schatten der sich aufbäumenden Kobra in dem flackernden Licht hin und her huschte. Ihr goldenes Festgewand, in dem sie aussah wie Isis, lag seitlich über ein Sofa drapiert, darüber ein Brustschmuck aus Türkisen und Karneol. Mutters Lieblingsarmband mit der goldenen Schlange glänzte auf einem niedrigen Tisch. Es schien beinahe, als würde sie sich auf eine religiöse Zeremonie vorbereiten.
    Jedoch, ich konnte sie noch immer nicht ansehen. Ich blickte zu Boden auf ihre bloßen Füße und den dunklen, edlen Stoff, der sich wie Blut um sie ergoss. Ich wusste, ohne zu fragen, dass es Caesarions alter Umhang war. Mutter hatte ihn sich um die Schultern geschlungen wie ein zitterndes Kind, das sich wärmen will.
    Mit sanftem Griff hob Mutter mein Kinn und ich nahm alles auf einmal in mich auf – ihr dunkles Haar, lose und ungekämmt, doch nicht so wirr wie das von Charmion; ihre Haut, die sich über ein beinahe eingefallenes Gesicht spannte, in dem sich vor Kummer und Erschöpfung neue Falten zwischen den Augenbrauen und seitlich neben dem Mund abzeichneten. Ihre Augen waren groß und düster, und es war ihr Blick, der mich beinahe niederschmetterte. Ihre Augen – diese glänzenden, goldgrünen Augen, die einst so viel Stärke ausgestrahlt und mich festgenagelt hatten, als würde das Auge des Horus selbst meine Seele inspizieren – nun war ihr Blick … leer.
    »Oh meine Tochter, was haben sie mit uns gemacht?«, flüsterte sie.
    Ich versuchte, stark zu sein. Wirklich. Aber ich war es nicht. Ich zerfiel in Millionen von Einzelteilen. » Mama « war alles, was ich sagen konnte, als sie mich in die Arme schloss.
    Ihr Finger fuhren glättend über meine Haare; ihr duftendes Unterkleid aus Leinen drückte gegen meine Wange; ihre Schultern beugten sich über mich, als wollte sie mich vor all dem beschützen, was mit uns, mit unserer ganzen Familie geschehen war. Sie hielt mich ebenso fest umklammert wie ich sie. Wir waren nicht mehr Königin und Prinzessin. Nur noch Mutter und Tochter.
    Nach einer Weile fragte Mutter, warum meine Brüder nicht mitgekommen waren. Ich berichtete ihr von dem Tee aus Mohnsamen. »Ich muss sie sehen«, sagte sie und trat einen Schritt zurück.
    Ich wollte mich wieder in ihre Wärme werfen. Stattdessen nahm sie meine Hand und ich folgte ihr aus ihren Gemächern heraus. Ich genoss das Gefühl von

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