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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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ihrer Hand in meiner und mir kam ein seltsamer Gedanke. Hatte Mutter mich jemals zuvor so bei der Hand genommen? Da sie die Königin war und ich Prinzessin, war ich bei Prozessionen immer hinter ihr gegangen.
    Bei unserem Anblick machte Dolabella große Augen. »Was habt ihr vor? Du darfst deine Räume nicht verlassen, Herrin! Das geht zu weit!«
    »Ich danke dir für alles, was du getan hast, Cornelius. Aber ich muss meine Söhne sehen. Ich werde nicht lange fort sein.« Wir gingen weiter den Gang entlang, unsere bloßen Füße bewegten sich so leise, dass ich das Gefühl hatte, wie in einem Traum zu schweben.
    In unseren Gemächern, strich Mutter Ptoli die verschwitzten Locken aus der Stirn, küsste ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie betete über ihm, dann wandte sie sich zu Alexandros, flüsterte ihm tröstende Worte über Iotape ins Ohr, als wäre er wach und könnte sie verstehen. Ich hörte, wie ihr die Stimme versagte, als sie flüsterte: »Mein neuer König.« Dann betete sie auch über ihm.
    Schließlich vollführte Mutter dasselbe Ritual auch bei mir und legte mir ihre weichen Handflächen auf den Scheitel. Sie schloss die Augen und sprach die heiligen Worte in der alten Sprache der Priester. Als sie geendet hatte, nahm sie mein Gesicht in ihre Hände. »Erinnerst du dich, was du im Unterricht über die ersten Herrscher des alten Ägyptens gelernt hast?«
    Ich nickte. Ihre Hände fühlten sich warm an auf meinen Wangen und ich senkte überwältigt den Blick. Mir war nicht bewusst gewesen, wie sehr ich mich nach ihrer Berührung gesehnt hatte. Und wie sehr ich mich davor fürchtete, sie zu verlieren.
    »Sie haben die frühen Könige im Sand der Wüste begraben, so blieben ihre Körper für das Jenseits erhalten. Von ihnen haben die Priester des Anubis ihre heilige Kunst erlernt. Indem er Caesarion in der Wüste zurückgelassen hat …« Mutter hielt inne und berührte die Senke an ihrer Kehle. »Indem sie Caesarion in der Wüste gelassen haben, haben die Mörder deines Bruders seinen Körper für uns, für sein Ka bewahrt. Verstehst du? Wir werden Caesarion – ebenso wie deinen Tata – im Jenseits wiedersehen.«
    Ich erkannte, dass dieser Gedanke Mutter Trost spendete, und auch ich spürte, wie mir bei dem Gedanken leichter ums Herz wurde.
    »Du muss dir immer bewusst sein, dass du von Alexander dem Großen abstammst und von den Königen, welche die Bibliothek, das Museion und den Leuchtturm erbaut haben«, fuhr Mutter fort. »Was auch immer geschieht, das können sie dir nicht nehmen.«
    Ich nickte und meine Augen füllten sich mit Tränen. Bei ihren Worten krampfte sich alles in mir zusammen, obwohl ich nicht sagen konnte, warum.
    »Ihr werdet in Rom in Octavias Haushalt leben«, fuhr sie fort. »Ich habe ihren Schwur erhalten, dass sie euch beschützen und für euch sorgen wird.«
    Octavia war die Schwester Octavians – die römische Ex-Frau unseres Vaters! Ich wollte keinesfalls in der Nähe unseres Feindes oder seiner Familie leben. Ich wollte hier bei ihr bleiben! Sie hatte wohl meinen Gesichtsausdruck gedeutet, denn sie schüttelte den Kopf, um mich am Widersprechen zu hindern. »Ihr müsst leben«, sagte sie. Und dann fügte sie noch beinahe lautlos hinzu: » Genestho «. Dies war das Wort, das sie verwendete, um all ihre königlichen Erlasse zu unterzeichnen – »So sei es.«
    Dolabella gab an der Tür einen Laut von sich. »Herrin, bitte«, bat er. »Du musst zurückkehren. Das Risiko ist zu groß.«
    Mutter küsste mich auf die Wange. »Du hast das Herz einer großen und mächtigen Königin«, flüsterte sie.
    Sie wandte sich um und verließ den Raum. Ich folgte ihr, doch Katep hielt mich draußen im Gang auf. »Kein Lärm«, flüsterte er und hielt mich fest. »Wir müssen sie gehen lassen.«
    Ich lugte an ihm vorbei, um Mutter hinterherzublicken. Sie glitt wie eine Göttin dahin – den Kopf hoch erhoben, Caesarions Umhang schwebte hinter ihr her –, bis sie wie ein Traum in der Dunkelheit verschwand.
~  Kapitel 13  ~
    Am nächsten Tag eilten meine Brüder und ich den ersten Abschnitt des großen Leuchtturms hinauf. Ich hatte ganz vergessen, wie heiß es in dem stickigen Treppenaufgang im Sommer werden konnte. Wir rannten nach draußen auf die umlaufende Aussichtsplattform und seufzten, während der Wind vom Meer uns den Schweiß auf den Gesichtern kühlte. Ich streckte die Arme aus. Über uns pulsierten die knisternden Flammen wie ein Herzschlag. Wie ich Pharos vermisst

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