Mondmädchen
zumindest den Anschein erwecken, als würden wir ihre alten Bräuche respektieren …«
Die beiden Männer starrten sich an und es schien, als würden sie ein ganzes Gespräch ohne Worte führen.
»Dann lass meinetwegen diese komischen Tier-Priester kommen«, knurrte Octavian. Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte hinaus. Agrippa warf mir einen kurzen Blick zu, bevor er ihm folgte.
Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was soeben geschehen war. Ich hatte einen kleinen Sieg errungen. Er würde uns gestatten, mit den Priestern über die heiligen Riten zu sprechen.
Aber der Preis dafür war hoch. Ich hatte mir die ewige Feindschaft des Mannes eingehandelt, in dessen Hand meine gesamte Zukunft lag.
~ Kapitel 14 ~
Die Priester des Anubis schufen eine spezielle Zeremonie für uns, die es uns ermöglichte, unsere rituellen Pflichten zu erfüllen, trotz der Tatsache, dass die Leichname meiner Eltern noch nicht für ihre Beisetzung bereit waren.
Am Tage vor unserer Abreise bereiteten wir uns weit vor Sonnenaufgang auf das Ritual vor. Ich zog mein bestes weißes Leinenkleid und dazu goldene Sandalen an und setzte eine festliche Perücke mit geflochtenen Zöpfen auf. Zosima malte den dicken schwarzen Kajalstrich auf meine Augenbrauen und Lider. Im ersten Augenblick fühlte es sich an, als würde sie meine Augen versiegeln, wie die Leinenstreifen, die für immer die Augen meiner Mutter verschließen sollten. Auch Alexandros und Ptoli legten königliche Gewänder an. Sie trugen zeremonielle Röcke und banden sich bunten, breiten Brustschmuck auf die bloßen Oberkörper. Dann setzten sie sich die gestreifte Kopfbedeckung der Könige auf.
Katep führte uns aus dem dunklen Palast hinaus. Als wir uns Mutters Grabmal näherten, musste ich beim Anblick des von Fackeln erleuchteten Ibw, dem mit Zeltplanen überspannten vorläufigen Ort der Reinigung, wo ihr Leichnam den rituellen Säuberungen unterzogen wurde, schlucken. Mutter ist noch immer unversehrt , dachte ich, während sich mein Magen zusammenkrampfte. Ein Teil von mir wäre am liebsten in das verbotene Zelt gerannt, um sie zu sehen und zu berühren, bevor die Priester sie zum Per Nefer , dem »Haus der Schönheit« verlegten, wo man sie aufschneiden und alle ihre Organe entnehmen würde, um sie in Kanopenkrügen aufzubewahren. Nur ihr Herz würde in ihrem Körper verbleiben, da sie es für das Wiegen des Herzens, der Prüfung des Anubis, benötigen würde.
War es alles meine Schuld? , überlegte ich. Hatte die Beschwörung des Anubis bewirkt, dass er sich meiner Mutter bemächtigt hatte? Diese Frage hatte ich Amunet schon häufig gestellt. »Nein«, hatte sie immer geantwortet. »Anubis überschattet dein Leben, doch er beschützt dich auch. Er wird dir helfen, die Söhne Ägyptens zu retten.«
In Mutters Mausoleum geriet ich kurz ins Stolpern, als mir klar wurde, dass sie genau an diesem Ort ihren letzten Atemzug getan hatte. Wieder musste ich mich zwingen, tief durchzuatmen. Zu meiner Überraschung war der Raum mit den Marmorsäulen voller Menschen, nicht nur Priester, sondern die treuesten Wegbegleiter meiner Mutter waren hier versammelt – Mardian, Apollodorus, ihr Premierminister Protarchus und ihre bevorzugten Gelehrten und Philosophen aus dem Museion . Alexandros und ich ergriffen Ptolis warme, feuchte Hände, während unsere Ammen und Katep den geweihten Bereich verließen.
Sobald es hell wurde, stimmte der Priester des Ra an: Lob sei dir, oh Ra, bei deinem Aufgang. Lass deine Strahlen auf mein Angesicht scheinen … Das Willkommensgebet für den Sonnengott ging weiter, bis Ra die hohen Fenster streichelte und feine Lichtstrahlen das Gold auf der Brust der Priester, die Schnitzereien an der Wand und die vergoldeten Hörner des gewaltigen Opferstieres zum Leuchten brachten.
»Schon bald wirst du dieses goldene Licht wieder erblicken, Mutter«, flüsterte ich. »Das schwöre ich dir.«
Der Priester des Osiris fuhr mit dem geweihten Messer über die Kehle des Stieres und das majestätische Tier wehrte sich zu meiner Erleichterung nicht. Dies war, wie ich wusste, ein Zeichen, dass die Götter unsere ungewöhnliche Zeremonie mit Wohlwollen betrachteten. Priester trugen glänzende Schalen herbei, um das erste Blut aufzufangen, und der Raum füllte sich mit seinem süßen, metallischen Geruch.
Während das Tier langsam in die Knie ging, um dann schließlich mit einem Laut, der halb Schrei und halb Seufzer war, auf die mächtige Seite zu
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