Mondmädchen
selbst einen Herkules zu Fall bringen könnte. Ich würde nur einen Versuch haben, Octavian loszuwerden. Doch noch bevor ich irgendetwas tun konnte, zuckten wir beide beim lauten Klang einer Männerstimme zusammen.
»Castor und Pollux! Was tust du da, Caesar?«
Octavian ließ von mir ab, hielt mich aber weiterhin gegen die Wand gedrückt. Seine Hand lag um meinen Hals. Ich drehte die Augen zu der Stimme. Agrippa. Er kam rasch ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. »Du kannst jedes Mädchen und jeden Jungen in diesem Palast haben, aber die königlichen Kinder darfst du nicht berühren! Das haben wir doch besprochen!«
»Diese kleine Furie hier hat es gewagt, mich zu beleidigen und mich anzuspucken. Dafür sollte sie bezahlen!«
»Du musst jetzt auf mich hören«, sagte Agrippa noch einmal. »Nur ein Fehltritt und wir könnten den ganzen Senat und ganz Rom gegen uns haben. Wir müssen den Anschein erwecken, dass wir die Kinder von Antonius mit ganz besonderer … Sorgfalt behandeln.«
Mit einem hämischen Grinsen drückte Octavian mir noch einmal den Hals zusammen, bevor er seine Hand wegnahm. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und hob stolz das Kinn, doch ich hörte, wie Agrippa erleichtert aufatmete.
»Sag deinen Brüdern«, befahl Octavian mir, so als hätte es die letzten paar Minuten nie gegeben, »dass ihr in drei Tagen nach Rom aufbrecht.«
Mir blieb der Mund offen stehen. »In drei Tagen? Aber wir können hier noch nicht fort! Wir haben doch noch nicht einmal die Beisetzungsfeierlichkeiten für unsere Familie …« Es dauerte mehr als zwei Monate – genau siebzig Tage –, bis die Priester des Anubis die heiligen Mumifizierungs-Rituale vollendet hatten. Sie waren noch nicht einmal für Vater beendet! Wir mussten dafür sorgen, dass die Rituale für unsere beiden Eltern richtig ausgeführt wurden, sonst würden wir sie im Jenseits niemals wiedersehen. »Ihr könnt uns nicht hier wegbringen, bevor die Rituale nicht beendet sind!«
»Ihr Ägypter mit euren abscheulichen Tiergöttern«, sagte Octavian verächtlich und wandte mir den Rücken zu, während er eine Statue von Sachmet aus schwarzem Marmor musterte. »Du langweilst mich. Geh!«
Heiße Tränen sammelten sich hinter meinen Augen und schnürten mir die Kehle zusammen. Das konnte er nicht tun! Ich blickte auf die Statue der Sachmet und wünschte, ich könnte sie zum Leben erwecken, sodass sie unter wildem Gebrüll sein Fleisch zerfetzen, es mit ihren Zähnen von seinen Knochen reißen würde, während er vor Schmerzen schrie …
»Hast du nicht gehört?«, fragte er und ging ein paar Schritte, um einen seidenen Wandbehang prüfend zwischen den Fingern zu reiben. »Ich habe dir befohlen zu gehen . Schließlich solltest du rechtzeitig anfangen zu packen«, fügte er mit einem bösartigen Grinsen hinzu.
In diesem Augenblick veränderte und verhärtete sich etwas in meinem Inneren, so als würde mein Rückgrat so dick und unverrückbar wie eine der riesigen Tempelsäulen in Dendera.
»Wir werden Alexandria nicht verlassen, bevor du uns nicht gestattet hast, die heiligen Rituale für unsere Eltern zu vollziehen«, sagte ich und meine Stimme war dabei ganz ruhig und kalt.
Octavian wandte sich zu mir, in seinen Augen glühte der Hass. Er machte den Mund auf, um zu sprechen, doch Agrippa trat einen Schritt auf ihn zu und streckte in einer beschwichtigenden Geste die Hand aus.
Die Tempelsäule in mir wurde immer breiter und höher, sie verdunkelte den Himmel. »Wenn wir nicht die heiligen Riten mit den Priestern des Anubis vollführen«, sagte ich, »werden die Kas meiner Eltern nicht ins Reich des Osiris eingehen können. Ihre Geister werden dich verfolgen, bis sich selbst Fortuna voll Abscheu von dir abwenden wird. Du kennst nicht die Macht der Toten in Ägypten.«
Wut und Furcht kämpften in Octavians Miene gegeneinander. Ich nutzte meinen Vorteil aus. »Ohne den Vollzug dieser Riten werden ihre ruhelosen Geister alle wütenden und bösen Totengeister in den geheimen Grabstätten dieses uralten Landes anrufen und … und …«
»Er reicht!«, befahl Agrippa. »Lasst sie ihre Feierlichkeiten durchführen«, flüsterte er Octavian zu. »Du kannst deine Regentschaft hier nicht beginnen, indem du ihre Götter erzürnst.«
»Das Schiff legt in drei Tagen ab«, sagte Octavian mit zusammengebissenen Zähnen. »Und diese Bastarde werden an Bord sein.«
»Gut, aber dann sollen sie zuvor ihre Totenpriester treffen«, drängte Agrippa. »Wir müssen
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