Mondmädchen
Artemis mit ihrem Bogen von einem nahe stehenden Lesepult meiner Mutter. »Dagegen werden wir etwas unternehmen müssen.«
Er schnüffelte an der Statue. Er sah, dass ich ihn beobachtete. »Wusstest du, dass man echte korinthische Bronze an ihrem Geruch erkennt? Sie hat einen ganz eigenen Geruch.« Er schloss die Augen und atmete wieder das Metall ein. »Deine Mutter hatte einen ausgesuchten Geschmack.«
Wieder überkam mich ein Gefühl von Unwirklichkeit. Dieser kleine Römer hier vor mir war für den Tod meines Bruders und meiner Eltern verantwortlich und doch wagte er es, Mutters Geschmack zu loben, während er sie gleichzeitig beraubte? Trauer und Hass rumorten in mir wie eine Welle, die sich langsam vor der Küste aufbäumt. Ich ging zur Tür und murmelte: »Sohn der Nyx und des Erebos. Dämon des Todes …«
»Verzeihung«, sagte er und stellte sich mir in den Weg. Seine grauen Augen glitzerten hinterhältig. »Hast du mit mir geredet, Prinzessin ?«
Ich gab keine Antwort. Ich mochte es nicht, ihm so nahe zu sein. Ich versuchte, mich an ihm vorbeizuschlängeln, doch er versperrte mir wieder den Weg.
»Weißt du«, sagte er mit seinem Krokodilslächeln, »ich hätte schwören können, dass ich gehört habe, wie du mich Sohn der Nacht und Dunkelheit genannt hast. Aber ich muss mich wohl geirrt haben, denn bestimmt wärst nicht einmal du so dumm, mir eine Beleidigung direkt ins Gesicht zu sagen. Oder?«
Er rückte noch ein Stück näher an mich heran und ich konnte seinen Atem riechen, sauer wie verdorbener Wein. Ich zwang mich, keinen Schritt zurückzuweichen.
»Denn, weißt du«, sagte er und flüsterte jetzt, »ich bin dem Gott des Todes nämlich gar nicht ähnlich. Ich bin wie Apoll, der Gott des Lichtes und des Sieges. Ich habe die Dunkelheit bezwungen, die von Osten heraufgezogen ist.« Er lächelte. »Ja, das gefällt mir. Ich werde Statuen und Altäre zu Ehren meines Schutzpatrons errichten lassen. Alle werden wissen, wem die Götter hold sind.«
Sein Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen. Trotz meiner Bemühungen, keine Schwäche zu zeigen, trat ich nun doch einen Schritt zurück. Wieder bewegte er sich mit mir. »Ja, und du bist Selene, die Göttin des Mondes. Die Sonne und der Mond.«
Er packte mich bei den Haaren in meinem Nacken und ich keuchte. Er würde mich hier und jetzt umbringen – genau wie er es mit Caesarion getan hatte. Er zog meinen Kopf noch weiter zurück und legte damit meinen Hals frei. Ich schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Ich hasse dich , dachte ich und versuchte, das Zittern zu unterdrücken. Möge Amut, der Zerstörer, sich von seinem stinkenden Lager erheben und dein Herz verschlingen, noch während es in deiner Brust schlägt …
»Tochter der großen Hurenkönigin«, sagte er. »Ja, die Möglichkeiten sind sehr interessant. Schade nur, dass du noch so jung bist …«
Ich versuchte, mich seinem Griff zu entwinden, aber er hielt mich an den Haaren ganz nah bei sich. Er lachte leise in sich hinein. »Aber es gibt ja schon erste Knospen, wie ich sehe.«
Ich spuckte ihm ins Gesicht. Er riss die Augen auf, die vor Wut ganz dunkel wurden. »Du kleines Biest!«, brüllte er und schüttelte mich wie ein Lumpenpuppe. Ich schrie laut auf wegen des scharfen Schmerzes an meiner Kopfhaut, trat wild um mich und traf irgendwas. Fluchend schleuderte er mich von sich. Ich hechtete zur Tür, aber er packte mich am Handgelenk und wirbelte mich herum. »Ich könnte dich auspeitschen lassen, weil du es gewagt hast, Caesar zu schlagen.«
» Du bist doch nicht Caesar! Mein Bruder war der einzig wahre Sohn von Julius Caesar«, sagte ich, ohne nachzudenken. Octavian drängte mich gegen die Wand und drückte mich mit seinem Oberkörper dagegen. Wieder wünschte ich, ich hätte den Mund gehalten.
»Vielleicht war es der besondere Reiz der Königin von Ägypten, dass sie eine Wildkatze war«, sagte er. »Vielleicht war das die Magie deiner Mutter.«
Ich verstand seine Worte nicht, doch ich begriff die Drohung, die in ihnen steckte. Er drückte seinen ganzen Körper gegen mich, die Brustwarze seines modellierten Brustpanzers drückte gegen meine Wange, die Metallnieten seines dicken Gürtels kratzten über meine Brust. Ich hörte auf, mich zu wehren, in der Hoffnung, dass mein Stillhalten ihn dazu bewegen würde, von mir abzulassen. Vergeblich.
Octavian fummelte an seinem Waffengürtel herum. Vater hatte einmal behauptet, dass ein wohl gezielter Tritt unter die Gürtellinie
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