Mondmädchen
gekrönt, Oberpriester und Oberpriesterin lagen vor uns auf den Knien.
Octavian betrachtete die Szene eingehend, seine schmale Brust hob und senkte sich. Marcus Agrippa folgte ihm, wie immer mit gerunzelter Stirn, zusammen mit Octavians Liktoren – den riesenhaften Galliern, die als seine persönlichen Leibwächter fungierten. Ich schluckte, als Octavian zu uns trat. »Wer ist für all dies verantwortlich?«, fuhr er Amunet und Ma’ani-Djehuti an.
»Es war notwendig«, erwiderte Ma’ani-Djehuti ruhig und erhob sich langsam. »Die Ma’at muss bewahrt werden, damit in den Herzen der Menschen und im ganzen Land nicht das Chaos ausbricht.«
»Soll das eine Art Drohung sein?«, zischte Octavian und presste die Lippen zusammen.
»Keineswegs«, sagte der alte Priester. »Es ist lediglich eine Feststellung der Tatsachen.«
Mit einer Brutalität, die mich überraschte, schlug Octavian uns beiden die Kronen vom Kopf. Ptoli duckte sich hinter meinen provisorischen Thron, während die Kronen scheppernd auf dem Boden landeten und davonrollten. Das Blut des geopferten Stieres verdunkelte ihr strahlendes Blau, die ganz besondere Farbe Ägyptens.
Octavian wandte sich an Amunet und Ma’ani-Djehuti. »Falls es bisher nicht klar geworden ist, werde ich es noch einmal erläutern. Ich bin euer Pharao. Ich bin euer König. Ich bin euer Herrscher. Ich bin euer Gott . Ich bin die höchste Instanz hier und im gesamten Römischen Reich. Habt ihr das verstanden?« Er wandte sich um und deutete auf uns. »Nie, niemals werden die Nachkommen dieser verderbten Hexe, die ihr als eure Königin bezeichnet habt, dieses Land regieren. Kapiert? Ich sollte sie vor euren Augen töten, damit ihr Barbaren nicht noch einmal in die Versuchung geratet, es mit mir aufzunehmen.«
Ich schluckte. Ptolis Atem hinter mir ging stoßweise. Ich wollte ihn trösten, doch ich konnte mich nicht bewegen. Wenn er uns jetzt tötete, wer sollte dann die Riten für uns vollziehen, damit wir mit unserer Familie in Aaru wiedervereint werden konnten?
Agrippa ging zu Octavian und legte seinem Freund die Hand auf den Rücken. Octavian richtete sich auf und ließ die Schultern kreisen. Er holte tief Luft. »Aber, wie ihr erkennen werdet, lässt Caesar im Gegensatz zu dem Schwächling Antonius niemals zu, dass Gefühle seinen Verstand regieren. Und daher gebiete ich meiner Hand Einhalt.«
Er wandte sich an Ma’ani-Djehuti. »Dir gegenüber muss ich allerdings keine Gnade walten lassen. Den Priester, der es gewagt hat, sich mir zu widersetzen, verurteile ich zum Tod durch Kreuzigung.«
»Nein!« Ich erhob mich. »Du kannst nicht die barbarischen römischen Gebräuche gegen einen geweihten Priester des Serapis anwenden!«
Alexandros stellte sich neben mich. »Das ägyptische Volk wird sich angesichts eines derartigen Sakrilegs erheben«, fügte er hinzu.
Octavian grinste verächtlich. »Ach, sie werden sich vielleicht beklagen. Aber damit wird schnell genug Schluss sein, wenn sie selbst mit dem Kreuz bedroht werden. Außerdem müssen sie lernen, dass Caesar sich nicht irgendeinem fremdländischen Priester beugt.« Er hob das Kinn in Richtung von Ma’ani-Djehuti. »Ergreift ihn«, befahl er. »Ergreift auch die Priesterin. Ergreift sie alle.«
»Nein!«, rief ich wieder, während die Liktoren den schwachen, alten Mann und die langhaarige Amunet an den Oberarmen packten.
Ma’ani-Djehuti blickte uns an, sein Gesicht verzog sich zu einem tröstlichen Lächeln. »Macht euch keine Sorgen, mein kleiner König und meine kleine Königin«, sagte er auf Ägyptisch. »Er kann nicht rückgängig machen, was vollzogen wurde. Ich sterbe in dem Bewusstsein, die Wünsche der Göttin erfüllt zu haben.«
Ich sah zu, wie sie die geistlichen Berater unserer Mutter, die ihr ein Leben lang zur Seite gestanden hatten, davonzerrten. An der Tür wandte Amunet ihr Gesicht zu Octavian. Sie sprach nur ein Wort: » Telestai .« Es ist vollbracht. Zuerst wunderte ich mich, warum sie ein griechisches und kein ägyptisches Wort benutzte, doch dann wurde es mir klar: Sie wollte, dass er sie verstand.
Dann spuckte die Priesterin der Isis ihm vor die Füße.
Als wir am nächsten Morgen dabei waren, uns auf die Schiffsreise vorzubereiten, die uns von allem, was wir kannten und liebten, fortbringen würde, kam Octavian in unsere Gemächer. »Wir ihr bereits wisst, habe ich dafür gesorgt, dass meine liebe Schwester Octavia sich um euch kümmern wird«, sagte er.
Er hatte dafür gesorgt? Mutter
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