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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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fallen, entzündeten Priesterinnen der Isis kleine Schälchen mit Räucherwerk, klapperten mit ihren geweihten Rasseln und intonierten die Gebete der Vorbereitung. Durch die dichten Räucherschwaden hindurch entdeckte ich drei goldene Shabti-Figuren, kleine geweihte Statuen auf einem Altar neben dem Aufseher der Mysterien. Ich bemerkte, dass auf jede ein anderes Gesicht gemalt worden war – Vater, Caesarion und schließlich Mutter.
    Der Priester des Anubis zog sich die große, schwarz glänzende Maske des Schakalgottes über. Ptoli wimmerte und vergrub sein Gesicht an meinem Bauch. »Wir tun das, damit wir Tata, Mutter und Caesarion einmal wiedersehen können«, flüsterte ich ihm zu. »Wir dürfen sie nicht im Stich lassen.« Daraufhin blickte er den Priester an, blieb aber weiter eng an mich gedrückt. Ich rieb seinen Rücken, der in der Spätsommerhitze dieses stickigen Grabes feucht vor Schweiß war.
    Da die Leichname unserer Eltern und unseres Bruders noch nicht vorbereitet waren, hielten wir das Mundöffnungsritual über ihren S habti -Statuen ab. Der Anubis-Priester beugte seine große Maske über die goldenen Figuren, dann trat der Priester des Ptah nach vorn, berührte seine eigenen Lippen mit einem geweihten Querbeil, um dann damit symbolisch Mutters Mund aufzuschneiden.
    »Mutter, öffne deinen Mund für den Lebensatem, dein Ka , damit du atmen, essen, sehen, hören und fühlen kannst«, sprach ich leise mit dem Priester mit, während er Mutters S habti berührte. Ich wiederholte dieses Gebet auch für Tata und Caesarion. Nachdem die Priester geendet hatten, fielen wir drei auf die Knie in die traditionelle Trauerhaltung – die Köpfe gebeugt, die Handflächen in die Höhe über unsere Köpfe – und beteten für ihr Wohlergehen während der Großen Reise.
    Am Ende der Zeremonie hätte ich fast geweint vor Erleichterung. Wir hatten es geschafft. Wir hatten dafür gesorgt, dass der Übertritt unserer Familienmitglieder ins Jenseits sicher war. Ich würde Mutter wiedersehen. Ich würde sie alle wiedersehen.
    Während die Priester des Anubis und Toth die Shabti-Figurennahmen und mit ihnen aus der Grabkammer hinauszogen, näherten wir drei uns Ma’ani-Djehuti, dem Priester des Serapis, und Amunet, der Priesterin der Isis. Ich wollte ihnen meine Dankbarkeit übermitteln, doch ich wurde unterbrochen, noch bevor ich beginnen konnte.
    »Nun, da wir für den sicheren Übergang der Großen Königin, ihres Sohnes des Königs und ihres Ehemannes in das Reich des Herrn des Westens gesorgt haben, gibt es noch eine weitere Zeremonie, die wir vollziehen müssen«, verkündete Amunet.
    Ich blickte zu Alexandros hinüber. Er zuckte leicht mit den Schultern. Ma’ani-Djehuti nickte jemandem hinter uns zu, und ich hörte, wie die Tür wieder verriegelt wurde. Ich stellte fest, dass der Kreis der engsten Berater und Gelehrten meiner Mutter nicht zusammen mit der langen Reihe von Priestern und ihren Helfern hinausgezogen war. Sie bildeten eine Mauer hinter Amunet und Ma’ani-Djehuti. Mein Herz raste. Was ging hier vor?
    »Ägypten muss einen Pharao haben, um die Ma’at zu bewahren und Seth, den Gott des Chaos und der Zerstörung, in seine Schranken zu weisen«, erklärte Ma’ani-Djehuti. »Nach dem Tod eurer Mutter und eures Bruders seid ihr nun nach den Gesetzen der Ma’at und des großen Horus König und Königin und damit die Pharaonen der zwei Länder Ägyptens. Nur durch die heilige Krönungszeremonie, wie sie von der Großen Göttin und dem Großen Gott bestimmt wurde, können wir die Bewahrung der Ma’at sichern.«
    Ein junger Mann, der zwei Kronen trug, trat nach vorne. Sie wollten uns krönen? Aber wir würden doch schon am nächsten Tag nach Rom abreisen! Ma’ani-Djehuti hatte offenbar unsere verwirrten Gesichter bemerkt, denn er lächelte uns an. »Die römische Besatzung ist eine vorübergehende Unterbrechung der großen Bestimmung Ägyptens. Durch eure Krönung wird euer Schicksal an Kemet geknüpft. Es wird nicht lange dauern, bis ihr zu uns zurückgebracht werdet.«
    Amunet bedeutete uns, dass wir auf den Thronsesseln Platz nehmen sollten, die aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schienen. Der alte Priester stimmte die Gebete der Krönung und der Erneuerung an. Als er die Arme hob, bemerkte ich, dass die faltige Haut auf seiner bloßen, braunen Brust irgendwie zugleich weich und ausgetrocknet erschien. Ma’ani-Djehuti band Alexandros einen falschen Bart aus Ziegenhaaren ans Kinn, damit er Osiris glich. Er

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