Mondmädchen
gehen zu können. Aber hier schien es den Mädchen nie gestattet zu sein, sich auch nur einen Schritt aus dem Umkreis des Anwesens zu entfernen. Die Jungen dagegen waren schon oft fort gewesen, um Wagenrennen zu besuchen. Oder sie folgten Juba, wenn er zum Forum oder in die öffentlichen Bäder ging, wo anscheinend die meisten politischen Angelegenheiten in Rom geregelt wurden.
»Und was hat deine Mutter so schön gemacht?«, fragte Julia. »Hatte sie blonde Haare so wie ich?«
»Nein, das hatte sie nicht«, gab ich zur Antwort. »Ihr Haar war so dunkel wie die schwärzeste Nacht.«
»Siehst du ihr sehr ähnlich?«
»Manche sagen das.«
»Aber du bist nicht so schön! Du hast eine große Nase!«
Irgendwie schienen unsere Gespräche immer mit einer vagen – oder manchmal auch nicht so vagen – Beleidigung zu enden, die sich gegen mich richtete. Ich reagierte einfach nicht. Ich hatte oft gehört, dass die Leute sich zuflüsterten, Octavia sei hübscher als Mutter und damit hatten sie möglicherweise auch recht. Aber Octavias Schönheit war die hehre, kühle Schönheit wie bei den Statuen des Praxiteles, während Mutters Schönheit voller Energie und Leuchtkraft war. Ich hatte immer die Menschen beobachtet, wenn Mutter einen Raum betrat, nur um ihre Wirkung auf sie zu sehen. Alle – einschließlich meiner Brüder und mir – wandten ihr die Gesichter zu wie Blumen, die sich zur Sonne hin öffnen. Und wenn sie einen ansah und süße Worte flüsterte, war es, als hätte Amun-Ra selbst deine Wange gestreichelt.
Trotz all meiner Bemühungen, ein ungerührtes Gesicht zu machen, musste Julia bemerkt haben, dass ihre »unschuldige« kleine Bemerkung ihr Ziel nicht verfehlt hatte. Mit einem verächtlichen Grinsen in meine Richtung stellte sie ihren Korb hin und eilte zurück ins Haupthaus. Auch ich ließ meinen Korb stehen, als ich einen mir bislang unbekannten Pfad in dem dichten Gestrüpp von Ostbäumen entdeckte.
Neugierig folgte ich ihm, um bald darauf festzustellen, dass er zu den Gebäuden der Sklaven führte. Ich blieb stehen, als ich einen Mann und eine Frau entdeckte, die es sich im Schatten neben dem Pfad bequem gemacht hatten. Leise wollte ich kehrtmachen, doch ich hielt inne, als ich bemerkte, dass sie über meine Brüder und mich sprachen.
»Diese ägyptischen Bälger stehen jetzt unter der Aufsicht unseres Dominus, oder?«, fragte das Mädchen. »Was hat er mit ihnen vor?« Ich erkannte sie als eine von Livias neuen Sklavinnen. Ich schlich näher heran und duckte mich hinter einen windschiefen Holzschuppen, um zu lauschen.
»Tja«, sagte der rothaarige Gallier, »er kann sie verdreschen, verkaufen oder ihnen den Hals umdrehen, wenn er will. Das ist alles im Rahmen der Gesetze. Wirklich, ich weiß nicht, warum er das nicht schon längst getan hat.«
Die junge Frau, die wie eine Griechin aussah, schnalzte mit der Zunge. »Nun, es würde keinen guten Eindruck machen, wenn er ihnen jetzt etwas antun würde, oder?«
Der Wachmann grinste. »Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, er wartet darauf, dass seine Frau nach Hause kommt, damit sie ihm die Drecksarbeit abnimmt und sie beiseiteschafft.«
Ich dachte an Octavians rätselhafte Bemerkung, dass Livia in seinem Sinne über uns »verfügen« würde, und ein vertrautes Gefühl der Angst breitete sich in mir aus. Die Sklavin schlug ihn neckisch auf die Schulter. »Du sollst nicht so über meine Domina sprechen!«
»Du kennst sie noch nicht gut genug. Die Gartensklaven behaupten, sie würde bei Mondlicht giftige Pflanzen züchten und sich ständig mit ganz besonderen ›Heilmitteln‹ beschäftigen. Tja, irgendwann wird sie das Haus schon von diesen ägyptischen Mischlingskindern ›heilen‹, du wirst schon sehen!«
Die junge Frau schaute ihn misstrauisch an. Ich duckte mich noch tiefer, da ich fürchtete, dass mein heftig pochendes Herz mich irgendwie verraten könnte.
»Es stimmt. Ihre Leibsklavin hat mir erzählt, dass sie ihre Gifte an alten Sklaven ausprobiert. Hast du dich nicht schon mal gefragt, woher es kommt, dass sie immer genau dann wegzusterben scheinen, wenn ihre Dienste nicht mehr gebraucht werden? Ach nein, du bist ja noch gar nicht lange genug hier, um das zu wissen.«
»Hör auf, du machst mir Angst! Und wieso hast du überhaupt mit ihrer Leibsklavin gesprochen?«, fügte sie in eifersüchtigem Tonfall hinzu.
Er lachte. »Ich meine ja nur, dass ich froh bin, dass ich für ihn und nicht für sie arbeite. Du darfst sie einfach nicht
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