Mondmädchen
Selene. Wir müssen stark bleiben«, warnte er mich auf Ägyptisch.
»Stark wobei?«, fragte Ptoli, der gedankenverloren ebenfalls in die ägyptische Sprache verfiel.
Tonia warf die Arme in die Luft. »Was sprechen sie denn jetzt schon wieder für eine Sprache?«
Alexandros blickte Juba an. »Es tut uns leid«, sagte er auf Latein. »Wir wollten deine Heimkehr nicht stören.«
Octavia musterte mich besorgt, dann tätschelte sie mir die Schulter, als wollte sie mich trösten. »Also, dann lasst uns hineingehen und den Hausgöttern Opfergaben darbringen, um für die glückliche Ankunft von allen zu danken«, sagte sie.
Ich betrat das Haus der Schwester meines Feindes und klammerte mich dabei an die Hand meines Bruders.
In jener Nach warf ich mich schlaflos hin und her in unserer engen Schlafkammer, die bei den Römern Cubiculum genannt wurde. Obwohl Jungen und Mädchen hier üblicherweise getrennt schliefen, wollten meine Brüder und ich uns nicht trennen lassen. Also wurden wir gemeinsam in den kleinen Raum gepfercht, der mittels eines schweren braunen Vorhangs abgetrennt wurde, um ein wenig Privatsphäre zu gewähren. Als wir das Cubiculum zum ersten Mal gesehen hatten, hatte Ptoli gestaunt und gefragt, warum man uns in den Räumen der Sklaven untergebracht hätte. Dummerweise hatte er auf Lateinisch gefragt. Der Diener, der uns zu unserem Schlafraum begleitet hatte, hatte sich empört geräuspert und war davongeeilt, um sich über uns das Maul zu zerreißen. Aber wer wollte sich über unsere Reaktion wundern? Wir waren an weitläufige, offene, lichtdurchflutete Räume gewöhnt mit großen Fenstern und Terrassen, die aufs Meer hinausgingen. Diese kleine, dunkle, fensterlose Kammer wirkte im Vergleich dazu wie ein Abstellraum für zerbrochene Amphoren.
Endlich fiel ich in einen traumlosen Schlaf. Aber dann wachte ich, wie in den meisten Nächten, seitdem wir Ägypten verlassen hatten, plötzlich in der Dunkelheit auf und schnappte keuchend nach Luft. Ein Fenster – warum gab es in diesem dunklen Loch kein Fenster?
In den ersten Augenblicken der Verwirrung war ich mir sicher, dass man mich in eine stickige, heiße Grabkammer gesperrt hatte.
~ Kapitel 17 ~
Das Haus unseres Feindes auf dem reichen Palatin – dem begehrtesten der sieben Hügel Roms – sah von außen recht klein aus, sodass der römische Durchschnittsbürger, der vorbeilief, stolz sein konnte auf den »bescheidenen« Lebensstil des ersten Mannes in Rom. Aber innen explodierte es förmlich vor Reichtum und Extravaganz. So viele Gebäude und Wohnungen umgaben Octavians Haus, dass es eigentlich eher eine Folge von miteinander verbundenen Anwesen war.
Ptoli freundete sich mit allen an und genoss den Trubel und das Leben eines Haushaltes mit vielen Kindern. Er und Tonia verstanden sich besonders gut. Sie lachten und spielten miteinander, als wären sie an derselben Brust gestillt worden. Alexandros verbrachte die meiste Zeit mit Tiberius und Drusus. Nach einigen Wochen zogen Alexandros und Ptoli in den Trakt der Jungen um. Ich hatte es ihnen nicht ausreden können. Später erst erfuhr ich, dass sie von den anderen Jungen immer mehr gehänselt wurden, weil sie bei den Mädchen schliefen.
Was mich anbetraf, so war es zu meinem Kummer von allen Mädchen des Haushaltes ausgerechnet Octavians Tochter Julia, die sich ständig zu mir gesellte.
Sie war fasziniert von meinem Leben als Prinzessin von Ägypten und löcherte mich mit Fragen nach Alexandria, unserem Alltag im Palast und was Mutter für ein Mensch gewesen war.
Ich antwortete ihr, so geduldig ich konnte, aber mit der Zeit fing ich aus Verärgerung an, in meinen Schilderungen zu übertreiben.
»War deine Mutter sehr schön?«, fragte sie zum tausendsten Mal, als wir eines spätnachmittags Feigen pflückten.
»Ja, meine Mutter war die schönste Frau der Welt«, gab ich entnervt zur Antwort. »Es war sogar so, dass sich jeder Mann, der sie sah, auf der Stelle in sie verliebte.« Sie schien meinen Sarkasmus nicht wahrzunehmen. Ich griff nach einer überreifen Feige und sie platzte in meiner Hand auf. Das feuchte, rosafarbene Fleisch gab einen so reinen und süßen Duft von sich, dass ich nicht anders konnte, als mir die Finger abzulecken.
Aus Langeweile hatte ich an jenem Tag Feigen gepflückt, da ich ja auf Octavians Anwesen eingesperrt war. In Alexandria war ich es gewohnt gewesen, jederzeit und wann ich wollte, in die große Bibliothek, das Museion , die Menagerie oder zum Leuchtturm
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