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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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lieber nicht verärgern.« Ich hatte wohl ein besorgtes Gesicht gemacht, denn sie fügte hinzu: »Ist schon gut. Tante Livia macht Entscheidungen, die unsere Mutter getroffen hat, in der Regel nicht rückgängig.«
    Ich fand Octavia beim Harfeüben neben dem Impluvium , dem Wasserbecken im Innenhof ihres kleinen Hauses. Die Cubicula von uns Kindern waren wie Militärbaracken an das hintere Ende ihres Hauses angebaut – die Jungen auf der einen, die Mädchen auf der anderen Seite.
    »Das klingt schön«, sagte ich, als sie ihre traurige Melodie beendet hatte. Und es war wirklich schön. Unerwartet gefühlvoll, voller Trauer und Sehnsucht.
    Überrascht und verärgert blickte Octavia zu mir auf. »Oh! Du hast mich erschreckt.«
    »Das tut mir leid. Ich wollte nicht …«
    »Du bist so leise wie eine Katze.« Sie senkte den Blick, während sie einen Schluck aus einem metallenen Becher neben sich nahm. »Möchtest du etwas Wein? Ich kann ihn für dich verdünnen lassen.«
    »Nein, danke.«
    »Nun, was kann ich für dich tun?«, fragte sie mit einem perfekten Lächeln auf den Lippen.
    Plötzlich zögerte ich, obwohl ich nicht wusste, warum. Octavia sollte ja bei mir und meinen Brüdern Mutterstelle vertreten, aber allein die Vorstellung machte mich ganz kribbelig. Keiner konnte den Platz meiner Mutter einnehmen! Nicht, dass Octavia das bei mir besonders versucht hätte. Es schien ihr zu reichen, meine Brüder zu bemuttern. Aber immerhin war sie einmal mit Tata verheiratet gewesen, und er bedeutete ihr noch immer genug, dass sie unserer Mutter versprochen hatte, uns zu beschützen.
    »Marcella die Ältere hat vorgeschlagen, dass ich … also …«, ich zögerte, weil es mir mehr als unangenehm war, eine Römerin um einen Gefallen bitten zu müssen.
    Octavias Miene hellte sich auf, als der Name ihrer Tochter fiel. »Setz dich, Selene, setz dich.« Sie deutete mit dem Kopf auf ein safrangelbes Kissen neben sich auf dem Marmorrand des Beckens. Zu unseren Füßen schimmerte ein verblasstes Mosaik mit Fischen und anderem Meeresgetier.
    Ich setzte mich. »Marcella hat mir geraten, dich zu bitten, mir das Spinnen zu erlassen.«
    Ein Ausdruck der Verwunderung huschte über ihr Gesicht. »Und warum sollte meine Tochter dir das raten?«
    »Nun ja, es hat sich gezeigt, dass ich kein Geschick dazu habe, und die Sklavinnen waren ziemlich verärgert, weil ich so viel Wolle ruiniert habe.«
    »Die Mädchen hier spinnen unter der Aufsicht von Livia«, sagte Octavia. »Es ist keine Kleinigkeit, eine ihrer ausdrücklichen Anweisungen zu missachten.«
    Mein Magen krampfte sich zusammen. Warum schien sogar Octavia Angst vor Livia zu haben?
    »Vielleicht könnte ich den jüngeren Kindern zusätzlichen Griechischunterricht geben«, schlug ich vor. »Bestimmt wird die Gemahlin des Imperatornichts dagegen haben, wenn ich mich anderweitig nützlich mache.« Da sie noch nicht überzeugt schien, fügte ich hinzu: »Marcella schien sehr stolz darauf zu sein, dass deine Entscheidungen die einzigen sind, die Livia nicht rückgängig zu machen wagt.«
    Ein zufriedenes kleines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, während sie mich betrachtete. Schließlich sagte sie: »In der Tat. Ich werde Livias Aufseherin mitteilen, dass du offiziell vom Spinnen entbunden bist.«
    »Danke!«, rief ich.
    »Ich frage mich«, überlegte sie, »ob deine Mutter ebenso gekonnt geschmeichelt hat, um zu bekommen, was sie wollte?«
    Ich blinzelte. »Aber ich wollte dir doch gar nicht schmeicheln … es war doch Marcella, die gesagt hat …« Ich hatte das Gefühl, als würde sie damit Mutter – und mich – beleidigen, aber ich konnte nicht genau festmachen, wodurch. War ich vielleicht nur überempfindlich?
    Olivia nahm ihr Instrument wieder auf und begann leise die Saiten zu zupfen. »Bitte schick die Aufseherin zu mir, Selene«, sagte sie. »Ich werde mich um alles kümmern. Mach dir keine Sorgen.«
    Es war eine große Erleichterung, dass ich Octavias Versprechen vertrauen konnte, denn von diesem Augenblick an wurde ich nie mehr aufgefordert, zusammen mit den anderen Mädchen zu spinnen oder zu weben. Meine Mutter hatte eine gute Wahl getroffen, sich mit ihr zu verbünden. Und das ließ mich über die anderen Verbündeten nachdenken, die uns bei unserer Rückkehr nach Ägypten behilflich sein sollten. Wann würden die Getreuen von Mutter und Amunet mit uns Kontakt aufnehmen? Ich brannte vor Ungeduld und Neugier. Aber dann dachte ich mir, dass die Verzögerung wohl damit

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