Mondmädchen
zusammenhängen konnte, dass Octavian noch immer in Ägypten war. Vielleicht verhinderte das ein Handeln in unserer Sache.
Ich hatte keine Möglichkeit zu erfahren, was eigentlich vor sich ging. Und so wartete ich, wie Amunet es mir befohlen hatte.
~ Kapitel 18 ~
Einen Monat nach unserer Ankunft versammelte sich der ganze Haushalt, um Livia Drusilla, die Frau des mächtigsten Mannes der Welt, zu begrüßen. Sie war endlich von ihren Reisen zurückgekehrt. Und mit ihr kehrte auch das allzu vertraute Gefühl von Angst und schlimmer Vorahnung zurück. Würde sie wirklich versuchen, uns das anzutun, was Octavian nicht zu tun wagte? Wie konnte ich in ihrer Gegenwart für unsere Sicherheit sorgen?
Wir standen mit Octavia und allen anderen Kindern vor einer Wand, an der Livias Sammlung von Totenmasken hing, die ihre aristokratische Herkunft bezeugen sollten. Die Römer nannten die Wachsmasken, die von den Gesichtern der Toten abgenommen wurden, Imagines . Bei Begräbnissen trugen Familienmitglieder diese Masken zu Ehren der Toten. (Und die Römer fanden unsere Totenriten seltsam!) Uns gegenüber waren die Wände blockweise leuchtend rot, gelb und schwarz gestrichen. Ich hatte mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass die Römer sich in kleinen Räumen einschlossen, die mit kunstvollen Landschaftsszenen bemalt waren. Jede Wand war bedeckt mit einem Durcheinander (wie es mir schien) von Bildern, auf denen Bauwerke und Gärten zu sehen waren. Warum öffneten sie die Räume nicht einfach nach außen und ließen das Tageslicht herein, so wie wir es in Alexandria taten?
Das Warten zog sich hin, und ich stellte fest, dass ich nicht die Einzige war, die angespannt war. Die Angst drückte schwer auf das Atrium. Es hätte mich kaum überrascht, wenn selbst die Totenmasken vor Schreck die Augen aufgerissen hätten. Octavia hatte uns sorgfältig der Reihe nach aufgestellt: Livias Söhne zuerst, dann Octavians Tochter Julia, schließlich alle Kinder von Octavia. Wir kamen natürlich ganz am Schluss. Alle zuckten und hampelten nervös herum – wie Pferde vor dem Wagenrennen.
Juba, der gutaussehende junge Afrikaner, der mit uns aus Alexandria zurückgekehrt war, tauchte nicht auf. Das wunderte mich, da er ansonsten ein festes Mitglied der Familie zu sein schien. Alle mochten ihn, auch meine Brüder. Oft hörte ich die jüngeren Kinder draußen im Garten kreischen, um dann festzustellen, dass Juba eines oder mehrere von ihnen in die Luft warf. Oder er tat so, als wäre er der Minotaurus, und jagte sie mit schrecklichem Gebrüll und Gegrunze vor sich her. Immer, wenn ich das sah, musste ich mich abwenden, denn mir wurde das Herz schwer bei der Erinnerung an die Spiele, die wir mit Tata gespielt hatten.
Beim Klang einer sich öffnenden Tür nahm Octavia Haltung an wie ein Soldat. Livia kam aus ihrem Studierzimmer – zusammen mit einem Gefolge von Sekretären, die hinter ihr herwuselten. Sie trug ihr dunkles Haar nach der neuesten römischen Mode: oben zu einer Art Krone hochgesteckt, während es seitlich über die Ohren fiel und hinten zu einem Knoten zusammengefasst wurde. Von dem edlen Stoff ihrer langen blauen Stola bis hin zu den goldenen Hängeohrringen strahlte Livia Drusilla Würde aus.
Ich schluckte. Sie wirkte so selbstsicher, so mächtig und ja, sogar majestätisch, dass ich vor lauter Sehnsucht nach meiner Mutter einen stechenden Schmerz empfand. Ich schloss für einen Moment die Augen und dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, mit ihr zusammen zu sein, wie sehr ich von ihrer Stärke gezehrt hatte. Aber ich wollte nicht, dass diese Frau mich an Mutter erinnerte. Sie war die Frau meines Feindes, die Gefährtin des Mannes, der meine Familie zerstört hatte. Die Frau, die den Sklaven zufolge möglicherweise schon unseren Tod geplant hatte.
Sie ging zuerst auf ihre Söhne zu, lächelte und küsste jeden der Jungen auf die Stirn.
»Willkommen zu Hause, Mutter«, sagten Tiberius und Drusus ein wenig steif. Interessant, dass sogar ihre eigenen Söhne von ihr eingeschüchtert waren.
»Es ist gut, wieder hier zu sein«, sagte sie. Sie glitt hinüber zu meinen Brüdern und zu mir und ließ den Blick ihrer dunkelbraunen Augen über uns schweifen. Als sich unsere Blicke kurzfristig trafen, zwang ich mich, nicht zu erschauern. Ihre Augen waren nicht so kalt und mörderisch wie die ihres Ehemannes, doch sie waren nicht weit davon entfernt. Gar nicht weit. »Ah, die neuen Mitglieder unseres Haushaltes. Es ist mir ein
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