Mondmädchen
als Anhängerin des Sokrates.«
»Warum?«
»Nun ja, zum einen hörst du nie auf, Fragen zu stellen. Und manchmal«, er lachte, »sind diese Fragen so lästig wie eine Schmeißfliege!«
Er verglich mich mit einer Schmeißfliege? Er musste meinen Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn er schob sich von den Ellbogen in die Höhe. »Das sollte keine Beleidigung sein, Kleopatra Selene.«
Nur Juba und meine Brüder benutzten noch meinen vollen Namen, was ich mehr zu schätzen wusste, als er ahnte. Juba zog einen Weinschlauch hervor, den er sich über die Schulter geschlungen hatte. »Und als Zeichen meines Wohlwollens biete ich dir den ersten Schluck von unserem Übungswein an.«
»Übungswein?«, fragte ich lachend.
Er lächelte und zeigte dabei seine weiß glänzenden Zähne. »Ja, genau, Übungswein. Hauptsächlich Wasser mit ein wenig Wein und Honig als Energiespender. Hier.« Er nahm den Deckel ab und bedeutete mir, dass er mir etwas in den Mund träufeln wollte. Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Ich spürte das Sonnenlicht auf meinem Gesicht. Den Geruch des Leders von dem Weinschlauch. Warme Flüssigkeit, die sich in meinem Mund sammelte. Der bittersüße Geschmack von Honig und Wein. Ich schluckte langsam.
Er trank selbst etwas. Ich sah zu, wie er die Augen schloss und den Mund öffnete, um die Flüssigkeit aufzunehmen, dann die Lippen zusammenbrachte und wie seine Kehle sich beim Schlucken bewegte. Er schlug die Augen auf und begegnete meinem Blick.
»Was ist?«, fragte er lächelnd. »Habe ich mir etwas übers Kinn gekleckert, oder was?«
Er war so nah. Die Sonne so warm, die Luft so schwer vom süßen Duft der Zitronenblüten. Ohne darüber nachzudenken, beugte ich mich vor und legte meine Lippen auf seine, wollte die Mischung aus Sonne und Wein darauf schmecken, wollte ihn schmecken. Ich hatte noch nie zuvor jemanden geküsst.
Ich spürte, wie er erstarrte und sich dann zurückzog. »Selene«, sagte er und klang peinlich berührt. »Du kannst nicht … Du bist doch noch ein Kind.«
So sah er mich also – als nervige Schmeißfliege und als dummes Kind. Tief beschämt rappelte ich mich auf.
»Warte! Kleopatra Selene, ich wollte dich nicht …«
Ich hörte nichts mehr von dem, was er sagte, sondern rannte, so schnell ich konnte an unserem Anwesen vorbei bis in den öffentlichen Park, den Caesarions Tata für das römische Volk hatte anlegen lassen. Ich wusste, wie gefährlich es für ein Mädchen war, hier alleine herumzulaufen, aber ich wollte so weit wie möglich von allem und jedem, den ich kannte, entfernt sein.
Als ich nicht mehr weiterrennen konnte, sackte ich unter einer Zypresse zusammen. Warum hatte ich das nur getan? Warum hatte ich ihn geküsst? Ich würde ihm nie mehr in die Augen sehen können. Ich stöhnte vor Scham und ließ den Kopf auf die Knie sinken. Ich hatte mich selbst und ihn zutiefst beschämt.
Schlimmer noch, ich hatte etwas über mich selbst erfahren, das mich bis ins Mark traf. Ich war nicht so schön, nicht so interessant und nicht so anziehend, wie ich im Stillen gehofft hatte. Stattdessen war ich, die Tochter der charismatischen, unwiderstehlichen Kleopatra VII., nichts als eine lästige, aufdringliche »Schmeißfliege«, die Männer abstieß. Ich war nicht nur von mir selbst enttäuscht, sondern musste auch frustriert feststellen, dass meine Mutter, wenn sie noch leben würde, ebenfalls von mir enttäuscht gewesen wäre.
~ Kapitel 25 ~
In den folgenden Wochen mied ich alle Orte, an denen ich Juba hätte begegnen können. Der Gedanke, dass er mich mitleidig ansehen würde, war unerträglich. Zu meiner Erleichterung versuchte er aber wohl ebenfalls, mir aus dem Weg zu gehen, denn es verging eine lange Zeit, ohne dass wir uns sahen.
Manchmal, wenn ich im großen Garten saß und las, bemerkte ich, dass Marcellus mich beobachtete, während er alleine mit einem von Octavians zahllosen Bittstellern sprach. Dann lächelte er und zwinkerte mir über die meist schütteren Köpfe der korpulenten, in ihre Toga gehüllten Männer hinweg zu. Manchmal kam er sogar zu mir herüber und setzte sich neben mich unter das schattige Blätterdach auf die Marmorbank.
»Du liest immer so viel, Selene«, bemerkte er eines Tages. »Sag mir doch, was du daran so faszinierend findest.«
Ich zuckte die Schultern. Es war mir peinlich und es freute mich zugleich, dass er mich überhaupt wahrgenommen hatte. Seine Freundlichkeit war wie Balsam. Vielleicht war ich doch
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