Mondmädchen
Octavian ebenso wenig Wert darauf legte, uns zu sehen, wie wir ihn. Es vergingen Tage, wenn nicht gar Wochen, ohne dass wir dem Mann begegneten, den ganz Rom als seinen Retter bezeichnete. Ich sorgte dafür, dass ich auch Livia so weit wie möglich aus dem Weg gehen konnte. Ich dachte, wenn wir vielleicht unsere Gegenwart nicht allzu sehr bemerkbar machten, würde sie nicht noch einmal versuchen, uns loszuwerden.
Ich beruhigte mich noch mehr, nachdem ich mitangehört hatte, wie einer der Sklaven sich über Octavians Treffen mit den Vasallenherrschern der östlichen Provinzen ausließ.
»Immer wenn sich einer von denen über das beschwert, was in ihrer Provinz los ist«, sagte der attraktive junge Weinausschenker, der nicht bemerkt hatte, dass ich mich auf der Suche nach einer leckeren Süßigkeit für Ptoli in die Küche geschlichen hatte, »dann erinnert Caesar sie daran, welche Wohltaten er den Kindern der ägyptischen Königin zukommen lässt. Er verspricht ihnen, sie ebenso zuvorkommend zu behandeln.«
»Und, glauben sie ihm?«, fragte der Küchensklave.
Der Weinausschenker zuckte die Achseln und kicherte. »Sie haben ja kaum eine andere Wahl, oder?«
Also waren wir selbst nach dem Triumphzug noch politisch nützlich für ihn. Auch das gab mir das Gefühl eines Schutzschildes. Doch während die Monate ins Land gingen, litt ich zunehmend unter unserer Situation. Wann würden Amunets Verbündete uns endlich kontaktieren? Was ging in Ägypten vor sich? Warum hatte ich nichts gehört?
Die Söhne und Töchter von Senatoren kamen oft zu Besuch, um den Umgang mit den Kindern des Haushaltes zu pflegen. Im Verlaufe dieser Besuche hatte ich mir den Ruf einer exzellenten Trigon -Spielerin verdient – trotz der spöttischen und verächtlichen Bemerkungen der Jungen. » Trigon ist ein Jungen-Spiel!«, riefen einige der Senatoren-Söhne, aber nicht lange.
Wie alle anderen auch, übernahm ich von Zeit zu Zeit die Aufgabe des Pilecripi , der den Spielstand notierte und die Bälle zurückbrachte. Eines Tages hatte einer der Senatorensöhne einen besonders harten Wurf nicht gefangen und der kleine Lederball rollte fast ganz bis zum Neptunbrunnen im Nebengarten. Als ich ihn aufhob, hörte ich eine Stimme aus meinen Albträumen. Ich erstarrte.
Octavian spazierte auf dem schmalen Weg durch den Garten, neben ihm ging ein stark übergewichtiger, sehr alter Mann. Octavian kniff die Augen zusammen und bleckte die Zähne. »Ah, Corbulo! Wenn man von der kleinen Gorgone spricht …«
Gorgone ! Ich spürte wie ich bei der Beleidigung errötete. Corbulos faltiger Hals schob sich aus seiner runden, togabedeckten Mitte. Er sah aus wie eine Schildkröte, die ihren kleinen, kahlen Kopf aus einem übergroßen Panzer herausstreckte.
»Ach, du darfst das Kind doch nicht so beleidigen, Octavian. Auf mich wirkt sie ganz reizend«, sagte er mit lüsternem Blick. »Ich habe mich schon gefragt, ob sie wohl nach ihrer Mutter schlägt. Ich kann nicht viel von Antonius an ihr entdecken, außer vielleicht die langen Beine.«
Ich zog an meiner Tunika und versuchte, meine Unterschenkel und Knöchel zu bedecken, während der alte Mann mich musterte. Zosima hatte sich schon beschwert, dass alle meine ägyptischen Kleider zu kurz waren, aber ich hatte mich immer entzogen, wenn sie versuchte, für neue römische Tuniken bei mir Maß zu nehmen. Jetzt bedauerte ich das zutiefst.
»Oh, ja, ich kann die Ähnlichkeit sehen«, fuhr der alte Mann fort. »Vergiss nicht, dass ich die faszinierende Dame kennengelernt habe, als sie vor vielen Jahren Julius besucht hat. Und die hier hat das gewisse Etwas, das ihre Mutter hatte, nicht wahr? Ich kann nicht genau sagen, was es ist, aber ich kann den Blick nicht von ihr wenden.«
Octavian murmelte etwas Unhörbares und die beiden Männer amüsierten sich leise. Mit so viel Würde, wie ich nur aufbringen konnte, wandte ich mich um und ging zu unserem Spiel zurück.
»Ja, die kommt durchaus infrage«, krächzte der Mann laut genug, dass ich es hören konnte.
Danach hatte ich keine Lust mehr zu spielen. Ich warf den Ball der Gruppe von Jungen zu und schlenderte dann weiter durch den Garten. Ich war verwirrt. Was hatte der alte Mann gemeint? Was hatte Octavians vor?
Zufällig begegnete ich Julia und einem der Senatorensöhne, die auf einer marmornen Bank unter einem Baum saßen. Julia beugte sich vor und küsste den Jungen auf die Wange. Das Gesicht des Jungen glühte vor entzückter Peinlichkeit, bevor er
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