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Mondmilchgubel Kriminalroman

Titel: Mondmilchgubel Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Bodenmann
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aufgeleckt. Viktoria geht hinaus in den Kräutergarten und pflückt ein paar Minzeblätter. Sie sieht, wie Sphinx abgesehen von seiner zuckenden Schwanzspitze regungslos unter dem Apfelbaum lauert. Der alte Herr kann das Jagen nicht lassen, denkt sie kopfschüttelnd. Wieder im Haus brüht sie eine Kanne mit Grüntee auf und gibt die Minze dazu. Sie öffnet die Schuhschachtel.

     
    Mein Mann bemüht sich um mich, obwohl ich das nicht will. Es widert mich an, wenn er mich berührt. Manchmal ist er so frustriert, dass er mich anschreit. Es wäre mir lieber, wenn er sich danach nicht entschuldigen würde. Ich schäme mich, weil ich nicht den Mut aufbringe, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich muss ständig an dich denken. Ich fühle mich so schuldig. Ach, wäre doch endlich alles vorbei.

     
    Viktoria fragt sich, ob Kuno seiner Frau wohl je gedroht, sie sogar geschlagen hat. Nichts in Iris’ Briefen weist darauf hin. Auch das Wort Eifersucht kommt nicht vor. Dass Iris ihrem Mann wenige Stunden vor ihrem Tod die Wahrheit sagte, war ein ausgesprochen mutiger Schritt.

     
    Heute hat mir Bruno schon wieder aufgelauert und ist mir durchs Sagenraintobel gefolgt. Er will einfach nicht begreifen, dass ich nichts für ihn empfinde. Ich mache mir Sorgen, dass mein Mann ihm auf die Schliche kommt. Viktoria will, dass ich gegen ihn Anzeige erstatte …

     
    Viele ähnliche Briefe folgen. Es ist offensichtlich, dass Edelmann Iris nicht aus den Augen gelassen hat, dass er ihr zu den unmöglichsten Zeiten aufgelauert und sie belästigt hat. Als der Postbote klingelt und ihr einen Brief überreicht, ist Viktoria überzeugt, dass Edelmann der Täter ist. Sie überfliegt das Schreiben. Kuno bittet sie, Iris’ Lebenslauf zu ergänzen.

     
    Ich muss immer an gestern denken. Wenn du mich liebst, vergesse ich all meine Sorgen. Wenn ich in deinen Armen liege, habe ich das Gefühl, dass ich dich schon ewig kenne. Ich kann es kaum erwarten, zu dir nach Rüti zu ziehen und ein neues Leben zu beginnen.

     
    Diese Zeilen hatte Iris vor drei Monaten geschrieben.

     
    Gestern war ich mit Lisa im Neeracher Ried. Hast du gewusst, dass dieses Ried eines der letzten großen Flachmoore in der Schweiz ist? Im Naturschutzzentrum haben wir mit unseren Feldstechern die Vögel beobachtet. Stell dir vor, ich habe sogar einen Eisvogel gesehen. Man sagt, dass das Weibchen beim Tod des Männchens einen Trauergesang anstimmt. Ich könnte nicht weinen, wenn mein Mann stirbt. Ist das nicht schrecklich?

     
    Sie legt die Briefe in die Schuhschachtel zurück. Ernüchtert stellt sie fest, dass sie nichts gefunden hat, was ihr weiterhilft. Nach einer weiteren Tasse Tee nimmt sie sich Iris’ Lebenslauf vor. Es passt zu Kuno, dass der Text knapp und förmlich gehalten ist. Was soll sie schreiben? Sie bemüht sich vergebens, Iris’ Bild heraufzubeschwören. Gedankenverloren streichelt sie Sphinx, worauf dieser zu schnurren beginnt.
    Iris hat die Natur geliebt und sich mit der Flora und Fauna gut ausgekannt. Das soll auch die Trauergemeinde wissen. Sie beginnt zu schreiben. Ebenso dass es eine von Iris’ Lieblingsbeschäftigungen gewesen ist, die Natur durch ihren Feldstecher zu beobachten. Sie endet mit dem Satz, dass Iris ihren Freunden und Bekannten durch ihre feinfühlige, achtsame Art unvergesslich bleiben wird. Ohne Kommentar legt sie einen Ausschnitt aus dem Requiem von Kaschnitz bei. Soll Kuno damit machen, was er will. Iris hätten diese Zeilen auf jeden Fall gefallen.

     

Kapitel 20
    Der Tag beginnt kühl, mit viel Sonnenschein. Als sich die Trauernden in der Abdankungshalle versammeln, bläst der Westwind die letzten Wolken weg.
    Viktoria schwört sich Haltung zu bewahren. Doch weder sie noch Lisa, die mit ihrem hellen Leinenkleid aus der Menge dunkel gekleideter Menschen heraussticht, sind darauf vorbereitet, Iris aufgebahrt vorzufinden. Viktoria bleibt vor dem offenen Sarg stehen. Wie aus Wachs gegossen, geht es ihr durch den Kopf. Sie erträgt es nicht, Iris in ihrer Verletzlichkeit aufgebahrt zu sehen. Sie wendet sich ab und setzt sich neben Lisa zu den anderen Trauergästen. Sie beobachtet, wie Kuno vor dem Sarg verharrt. Eine große, elegante Erscheinung, sein Gesicht tief bekümmert. Sie sieht, wie er eine Träne abwischt. Schließlich verneigt er sich vor dem Sarg und kehrt zu seiner Familie zurück, die ihn wie eine Schar Krähen umgibt.
    Der Priester, eskortiert von zwei Weihrauchfässer schwenkenden Ministranten, bleibt vor dem Sarg stehen.

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