Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Sonne schon über die höchsten Erhebungen geklettert und leuchtete so hell, dass Thuna ihre Augen abschirmen musste. Die Wasserfälle im Tal waren größtenteils zugefroren und leuchteten in den bizarrsten Formationen, während es darunter noch rauschte und gluckerte.
Ohne ihre Stimme zu benutzen, rief Thuna nach Pollux, dem geflügelten Löwen, der mal so klein gewesen war, dass er in ihrem Schoß geschlafen hatte. Nicht lange, und Thuna sah einen mächtigen Löwenkopf zwischen zwei Bäumen hervorschauen, hoch oben über der Kante einer Schlucht. Pollux war schon wieder gewachsen. Als er seine gewaltigen Flügel ausbreitete, um den Abgrund zwischen sich und Thuna zu überwinden, hielt seine ehemalige Ziehmutter beeindruckt die Luft an. Pollux war ein prächtiger Löwe!
Die vereiste Oberfläche der Schneedecke barst und flog nach allen Seiten, als Pollux vor Thunas Füßen landete. Dabei machte er so einen Wind, dass Thunas Haare in alle Richtungen flogen. Feuergelb leuchtete das dicke Winterfell im Licht der Sonne und die warmen, großen, braunen Augen des Löwen strahlten vor Wiedersehensfreude. Er machte einen ungestümen Satz auf Thuna zu und rempelte sie zärtlich mit seinem Riesenkopf um, sodass sie unversehens im Schnee landete. Dort spürte sie, wie eine monumentale Samtschnauze in ihrem Genick herumwühlte und sich dann ihre Mütze schnappte , die ihr vom Kopf gerutscht war, um damit Katz und Maus zu spielen, so wie früher.
Grohann ging seiner eigenen Wege und versprach, Thuna später wieder abzuholen, was Thuna sehr recht war. Denn wenn sie mit ihrem Löwen spielte, ging es immer sehr albern zu, und das musste der Steinbockmann ja nicht gerade mit ansehen. Allerdings war es schwer geworden, mit Pollux herumzutoben. Er war einfach zu groß und zu kräftig. Und als Thuna ihr mitgebrachtes Frühstück auspackte, wären sie fast in Streit geraten, denn der Löwe wollte einfach nicht einsehen, dass die Brote Thuna gehörten und nicht dazu bestimmt waren, dass er darauf herumkaute und sie angewidert wieder ausspuckte.
„Nein!“, rief Thuna. „Nein, Pollux!“
Irgendwann begriff er, dass Thunas Brote einem Löwen nicht schmeckten, und verschwand mit viel Wind und Gesause, um kurze Zeit später mit etwas zurückzukommen, das Thunas Frühstück fast wieder zum Vorschein gebracht hätte, da es sich in ihrem Magen rückwärts bewegte. Niemand wollte die Überreste eines halben Rehs in dieser Form sehen, ganz bestimmt nicht!
Thuna schaute eisern in eine andere Richtung, während es neben ihr schmatzte und knackte, und sie erinnerte sich der Worte des Trommelgnoms: ‚Fliegender Tod. Gefährlich!’
Als Grohann am frühen Nachmittag wieder auftauchte, kniete Thuna im Schnee und ihr Löwe hatte sie umwickelt wie ein wärmendes, kuschelweiches Polster. Pollux schlummerte und seine Nase arbeitete im Traum. Ab und zu wachte er auf, hob den Kopf und schaute Thuna vorwurfsvoll an. Er hörte erst wieder damit auf, wenn sie ihm das Fell hinter den Ohren kraulte, wo er es am liebsten hatte. Dann sackte das schwere Löwenhaupt in den Schnee zurück und er schlief wieder ein.
Als sich Thuna aus Pollux’ Umwicklung befreite und aufstand, um den Heimweg anzutreten, reagierte Pollux übellaunig. Er fauchte Grohann an und bewegte drohend langsam seinen Schwanz hin und her. Thuna gab dem Löwen daraufhin einen beherzten Klaps auf die Nase und dann war Ruhe.
„Ich komme ja wieder“, erklärte Thuna ihrem ehemaligen Schützling. „Sei brav und pass auf, dass du nicht aus Versehen kleine Wichte oder Trommelgnome zertrampelst!“
Der Löwe sah nicht so aus, als stünde diese Bitte an erster Stelle seiner Liste guter Vorsätze, doch er gab sich anschmiegsam und gehorsam, als Thuna ihm einen letzten Kuss zwischen die Ohren gab und ihm Lebewohl sagte.
In diesen Wintertagen wurde es früh dunkel und so färbte sich der Himmel bald rosa und orange und selbst der Schnee hatte einen rosa Schimmer, kurz bevor die Sonne unterging. Dann wurde es sehr kalt und die Schatten kamen zurück, die zum bösen Wald viel besser passten als das klare, helle Licht, das an diesem Sonntag bis in die letzte Ritze jeder noch so vernarbten Rinde gedrungen war. Unholde kamen aus ihren Höhlen, ebenso wie die Tiere der Nacht, die hungrigen Winterdämonen, die wandernden Pilze und die listigen Schneebrüter. Außerdem kam ein Hasenjunge zum Vorschein, dessen Fell in der Dunkelheit hell schimmerte, als er vor Thuna hin- und herschwankte.
„Uh, ist
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