Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Schimmern umgab Thuna. Sie war es mittlerweile gewohnt, dass Feenlicht von ihr ausströmte, wenn sie es wagte, ganz sie selbst zu sein, umfangen von einer wilden Welt wie dieser. Allmählich lernte sie auch, wie der böse Wald zu begehen war, wie man große Entfernungen durch Tunnel und verzauberte Lichtungen und magische Brücken verkürzte, doch noch war sie auf Hilfe angewiesen. Im Sommer stand ihr Rackiné zur Seite, Marias ehemaliger lebendiger Stoffhase, der den bösen Wald zu seiner Heimat erklärt hatte. Doch jetzt, da Rackiné irgendwo unter der Erdoberfläche in einer Unhold-Höhle hauste, konnte nur Grohann Thuna führen. Was fast angenehmer war, denn Rackinés Vorliebe für enge Tunnel durch die Erde waren Thuna, die geschlossene Räume kaum ertragen konnte, ein Graus.
Thuna und Grohann gelangten ohne Unannehmlichkeiten an den Nebelsee, der von einer dicken Eis- und Schneedecke überzogen war. Das Nebelfräulein, das sich oft im See auflöste, um sich zu entspannen, war auf Reisen, wie sie erfuhren. Wobei Reisen bei einem Nebelfräulein wie diesem nicht heißt, dass sie den Ort verlässt, an dem sie lebt, sondern andere Orte herbeiruft, und sich mit diesen in Wechselwirkung begibt. Ein seltsamer Vorgang, den Thuna kaum verstand, als man ihn ihr schilderte.
Vom Nebelsee aus wanderten sie in das Gebiet der Trommelgnome, das größtenteils schneefrei war, da hier die unterirdischen heißen Quellen entsprangen. Die Trommelgnome, die Thuna verehrten, brachten die Erde unter ihren Füßen zum Vibrieren, als sie Thuna mit ihrem Getrommel begrüßten. Es waren Trommelschläge wie Herzschläge und in ihrem Takt wanden und drehten sich Pflanzen aus der Erde, an denen Blüten in einer Form und Farbe blühten, wie Thuna es garantiert noch nie gesehen hatte. Es sei ein neuartiger Tanz, erklärte ihr der Trommelgnomhäuptling. Ob er ihr gefalle?
Thuna betrachtete zweifelnd die fleischfarbenen, schuhförmigen Blüten einer glibberigen Staude und nickte zurückhaltend. Grohann war weniger diplomatisch. Er erklärte, der Tanz komme ihm noch unausgereift vor, was man auch daran erkenne, dass die schuhförmigen Blüten zu schnell welkten und dann Schimmel ansetz t en, was doch kaum beabsichtigt sein könne?
Der Häuptling war etwas beleidigt, doch als Thuna erklärte, sie habe noch nie etwas so Erstaunliches und Ungewöhnliches gesehen, war er besänftigt. Unterdessen hatten sich alle möglichen Wesen, die im Winter wach waren, bei den Trommelgnomen eingefunden, um Thuna ihre Aufwartung zu machen. Unter anderem ein paar winzige Wichte, die ihre Laternchen in Thunas Feenlicht hielten, woraufhin sie blau aufl euchteten.
„Schööön!“, riefen sie und sprangen und lachten um Thuna herum. Ein paar Wichtkinder waren auch dabei, die hatten gestrickte Mützchen an, so klein, dass sie höchstens auf Thunas kleine Finger spitze gepasst hätten.
„Bleibst du noch?“, fragte eins von ihnen, als Thuna Anstalten machte, weiterzugehen.
„Ich muss weiter. Wir wollen meinen Löwen besuchen!“
„Oh, den großen Löwen!“
„Habt ihr ihn mal gesehen? Geht es ihm gut?“
Die Wichte machten unglückliche Gesichter.
„Fliegender Tod!“, erklärte ein Trommelgnom grimmig. „Gefährlich!“
„Ach so“, sagte Thuna betreten und beschloss, den Löwen an diesem Ort lieber nicht mehr zu erwähnen. Stattdessen bedankte sie sich bei allen Anwesenden für ihre Zuneigung und die Ehrerbietung und setzte ihren Weg mit Grohann fort
Ein Glitzern von reinem Gold breitete sich im Wald aus, als die Sonne aufging. Die Schneedecke knisterte und strahlte und die Äste der Bäume, gekrümmt unter den Schneelasten, knarrten und knurrten verschlafen. Die eine oder andere Schneelawine krachte von oben herab, als sich die Luft erwärmte. Tiere, die sonst im Schutz der Schatten fast unsichtbar waren, bewegten sich leise und majestätisch durch weiße Fernen. Da waren Hirsche und Rehe, Füchse und Luchse, sehr große Hasen mit weißem Fell (von Weitem hätte man sie fast mit Rackiné verwechseln können) und einmal stapfte sogar ein großer, schwarzer Bär in nächster Nähe an Thuna und Grohann vorüber, ohne sich um ihre Gegenwart zu scheren.
Der Winterwald war heller als der Sommerwald, auch einsamer, doch von großer Schönheit, vor allem heute, da er so funkelte und glitzerte und der Himmel über den Bäumen immer blauer wurde. Als sie das zerklüftete Tal erreichten, in dem Thuna ihren Löwen im Herbst zurückgelassen hatte, war die
Weitere Kostenlose Bücher