Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
in ihren Anstrengungen nachließ, tauchte Yu Kon aus dem Nirgendwo auf und schlug sie im besten Fall mit seinem Stock. In anderen Fällen tunkte er ihren Kopf in den Schnee, machte sie vorübergehend blind oder taub, verpasste ihr einen hässlichen Ausschlag oder ließ ihre Fußsohlen so brennen, dass sie umfiel. All diese Dinge machte Yu Kon mit ihr, wenn er unzufrieden war, und er war täglich mehrere Male unzufrieden.
Er ließ Lisandra nach Gürkel rennen, damit sie ihm getrocknete Sonnenwend-Beeren kaufte, die er dann, wenn sie außer Atem wieder bei ihm ankam, vor ihren Augen im Schnee zertrat. Er trug ihr auf, einen Berg Schnee mit bloßen Händen abzutragen, um ihr dann, wenn sie es geschafft hatte, zu sagen, dass sie den Berg wieder auftürmen sollte. Er befahl ihr, seinen Nachttopf vor Wanda Flabbis Füßen auszuleeren, weil diese es gewagt hatte, in der Nähe des Faulhund-Geheges (und damit in der Nähe von Yu Kons Hütte) einen Teppich auszuklopfen. Lisandra holte also den stinkenden Nachttopf, schlich zu Wanda Flabbi, die immer noch mit dem Teppich zugange war, und leerte ihn mit um Verzeihung bittender Geste vor ihren Stiefeln aus, woraufhin die Krötenfrau wortlos den Teppich zusammenrollte und fortstapfte. Lisandra hoffte, dass ihr Wanda Flabbi diese Tat eines Tages verzeihen würde, doch sehr wahrscheinlich war das nicht.
Lisandra war manchmal versucht, mit Sternenstaub zu tricksen oder ihre Ringe, ihre Uhr oder ihren Reif zu benutzen, die magikalisches Fluidum speichern konnten. Als Yu Kon sie in einer Eishöhle einsperrte, die sie selbst gegraben hatte, fiel es ihr schwer, nicht einfach durch den Schnee zu gehen, wie sie auch durch Wände gehen konnte, um dem eiskalten Gefängnis zu entkommen. Doch Yu Kon hatte ihr verboten, jegliche Form von Zauber anzuwenden. Es war schlimm genug, wenn sie manchmal für Dinge bestraft wurde, für die sie nichts konnte (welches normale Mädchen konnte schon schneller rennen oder höher klettern als ein Eichhörnchen?), doch bewusst etwas zu tun, womit sie Yu Kons Zorn auf sich ziehen würde, kam ihr bestimmt nicht in den Sinn. Also verzichtete sie brav auf Zauberei.
Nach zwei Wochen, die auf diese unerfreuliche Weise vergangen waren, erhielt Lisandra von Yu Kon die Erlaubnis zu sprechen. Allerdings erwartete Yu Kon von ihr, dass sie nur sinnvolle Dinge sagte und drohte ihr an, dass jedes überflüssige Wort bestraft werde, was dazu führte, dass Lisandra lieber gar nichts sagte. Nichts bis auf diese eine Frage:
„Was ist das Silberschwert?“
„Das Silberschwert!“, wiederholte Yu Kon und zum ersten Mal, seit Lisandra diesen griesgrämigen, alten Mann kannte, glänzten seine Augen vor Rührung und er kam fast in eine feierliche Stimmung.
„Das Silberschwert“, sagte er noch einmal und ließ seinen Stock sinken, „ist die höchste Weihe eines Schülers! Nur die Allerbesten, nur die reinsten Kämpferherzen, können das Silberschwert finden und es führen. Alle meine Schüler – und das habe ich meinem eigenen Meister bei meinem Leben geschworen – alle Geschöpfe, die ich als Schüler annehme , und seien sie noch so nichtsnutzig und minderwertig …“
Der Meister hielt inne und Lisandra hob die Augenbrauen. Sie wusste genau, wem die Pause galt und wer die nichtsnutzigste und minderwertigste Schülerin war, die Yu Kon jemals gehabt hatte. Doch sie hielt brav den Mund, starrte den Meister an und nickte ehrerbietig.
„ … sollen von mir gelehrt werden, das Silbe rschwert zu finden. Es ist die mächtigste Waffe, die ein Mensch erlangen kann, die reinste und die edelste. Doch nur die Allerwenigsten wissen mit dieser Lehre etwas anzufangen. Sie kennen den Weg, doch schaffen es nicht, ihn bis zum Ende zu gehen. Sollte es dir gelingen, Schülerin, das Silberschwert zu finden und zu führen, werde ich mich vor dir verneigen und diesen Ort verlassen, denn dann gibt es nichts mehr zu lehren und nichts mehr zu sagen. Dann ist mein Auftrag erfüllt!“
Lisandra sah den Meister an, den sie noch nie so bewegt erlebt hatte, und wünschte sich inständig, sie sei eine der Auserwählten, die das Silberschwert finden und führen könnten. Er hatte versprochen, dass er es ihr beibringen würde. Wer sagte, dass nicht ausgerechnet sie verstehen würde, worum es ging? Vielleicht würde es ihr gelingen, die reinste und edelste Waffe für sich zu gewinnen?
„Ich muss dir nicht sagen, wie gering deine Chancen sind“, sagte Yu Kon, in die gewohnte verächtliche
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