MondSilberLicht
flüsterte er dem Wal etwas zu. Fasziniert betrachtete ich sein konzentriertes Gesicht. Glaubte er, dass das Tier ihn verstand? Als mir das Wasser bis an den Rand der Gummistiefel reichte, blieb ich stehen. In kleinen Wellen schwappte das kalte, dunkle Nass in die Stiefel. Längst vertraute Angst kroch in mir hoch.
Wasser.
Schon als Kind hatte ich eine panische Angst vor offenen, dunklen und unergründlich tiefen Gewässern entwickelt. Es war ein Erbe meiner Mutter. Niemals hatte sie mir erlaubt, dass ich ins Meer oder in einem See baden ging. Das Baden in hellen, freundlichen Schwimmbädern hatte sie mir dagegen nie abschlagen können. Da war ich buchstäblich ein Fisch im Wasser. Vorsichtig, Schritt für Schritt, wich ich zurück, das aufkommende Zittern mühsam unterdrückend. Vom sicheren Ufer aus sah ich zu, wie die anderen die Gurte lösten und den Wal weiter ins Wasser schoben. Die ganze Zeit blieb Calum bei dem Tier, während ein Helfer nach dem anderen zurück ans Ufer kam. Kurze Zeit später reichte ihm das Wasser bis zur Brust. Endlich war es für den Wal tief genug. Mit einem Mal drehte der seinen Kopf Calum zu. Es schien, als würde er ihm zunicken. Ich wusste, das war blanker Unsinn.
Dann schlug er kräftig mit seiner Schwanzflosse und schwamm los. Er hatte es geschafft. Wir jubelten vor Erleichterung und Amelie und ich fielen uns in die Arme.
„Ich wusste, dass Calum es schaffen würde“, sagte Dr. Erickson neben mir und ging ihm mit einer Decke entgegen. Doch er schüttelte den Kopf und zeigte auf die anderen Tiere.
Die Prozedur wiederholte sich mehrmals. Der Vollmond stand mittlerweile am Himmel und warf kaltes, silbriges Licht auf den Strand. Es war windstill, irgendwie friedlich.
Calum war jedes Mal der Letzte, der die Wale ins Wasser entließ. Er schien weder zu frieren noch Angst zu haben. Eine einzige falsche Bewegung der verängstigten Tiere konnte ihn verletzen oder töten.
Endlich war unser kleiner Schutzbefohlener an der Reihe. Ich legte meine Wange an seine kalte Haut und flüsterte ihm zu:
„Es wird alles gut werden.“
Während der Jeep langsam anfuhr, hielt ich den Kopf des Kleinen. Ich wollte so lange wie möglich bei ihm bleiben. Auf der anderen Seite hatte Calum sich postiert und sprach unablässig auf das kleine Tier ein. Seine schmalen, feingliedrigen Hände lagen auf dem Rücken des Tieres und berührten fast meine. Er flüsterte ganz leise, so dass ich nicht verstehen konnte, was er sagte. Ich spürte nur, wie der Wal ruhiger wurde. Das panische Zucken in seinen Augen verschwand.
Wie machte er das? Langsam gingen wir ins Wasser. Als es mir jedoch bis zu den Knien stand, begann das Zittern wie von selbst. Angst kroch ungebremst in mir hoch. Ich konnte die Furcht nicht beherrschen. Calum sah auf und musterte mich. Zwei irritierend dunkelblaue Seen strahlten mich an.
„Es ist gut. Du kannst ihn loslassen“, sagte er sanft.
Ich nickte und versuchte, meinen Blick von ihm zu lösen.
Das Wasser umspülte meine Beine und meine Angst verstärkte sich.
Ich spürte, wie meine Knie nachzugeben drohten. Da griff er nach meinen Händen.
„Was hast du?“
Ruhe breitete sich in mir aus. Ich hielt mich an ihm fest wie eine Ertrinkende. Schauer jagten durch meinen Körper.
„Ich fürchte mich vor dem Wasser“, flüsterte ich, bevor meine Stimme versagte.
Er nickte, als würde er verstehen. „Geh zurück an den Strand. Er wird es schaffen, glaub mir.“
Doch weder seine Hände noch sein Blick ließen mich los.
Dr. Erickson trat neben mich, nahm meinen Arm. Schweren Herzens ließ ich Calum los. Ohne seine Berührung kehrte die Angst unvermittelt viel stärker zurück und ich sackte zusammen. Dr. Erickson hielt mich fest und führte mich ans Ufer.
„Es wird alles gut, Emma. Calum macht das schon“, in seinen Worten schwang volles Vertrauen in Calums Fähigkeiten mit.
Amelie wickelte mich in eine Decke und schimpfte vor sich hin. „Was sollte das? Wolltest du ihn beeindrucken? Als sie mein Lächeln sah, verstummte sie und sah mich ernst an. „Oh, oh, da hat es jemanden erwischt. Na, willkommen im Club. Den Blick kenne ich.“
Ich spürte, wie die Röte mir den Hals hochkroch und vergrub mein Gesicht in der kratzigen Decke.
Ich konnte mich unmöglich hier am Ende der Welt in den erstbesten Jungen verlieben, der mir über den Weg lief. Wahrscheinlich sah er gar nicht so gut aus, wie ich im ersten Moment gedacht hatte. Das war nur diese unwirkliche Situation, dass er mir vorkam wie ein
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