Mondsplitter
größte Annäherung daran, die er bislang erreicht hatte.
»Da«, sagte Packard. Ein schmales Lichtband zog eine Falte durch die Wolken direkt voraus. Er kam herunter. Bruchstücke lösten sich explosionsartig von ihm, und dann war er weg und hinterließ nur ein paar Schimmer. »Hat aber nicht viel hergemacht, Skipper.« Der Tonfall spiegelte seine Überzeugung wider, daß man sie ohnehin in den April geschickt hatte.
»Falls er das war, Dan«, sagte Bolling, »dann ist er zu früh eingetroffen.« Er kritzelte Zeit und Koordinaten der Sichtung auf einen Meldungsbogen und schickte ihn zur Übermittlung in den Funkraum.
Das Gesicht des Eins O zeichnete sich im gedämpften Licht der Brücke blau ab. Eine zweite Lichtspur lief über den Himmel und ging wieder aus. Das Meer war pechschwarz. »Für mich sehen sie wie gewöhnliche Sternschnuppen aus«, sagte er.
»Ich hoffe es.« Bolling stellte die Verbindung zum Funkraum her. »Was hören Sie?« fragte er Herb Bitzberger, den Funker.
»Nichts Ungewöhnliches, Skipper«, antwortete Bitzberger. »Die Schiffe reden miteinander, aber es ist das übliche Geplauder.«
»Irgendwas aus Breakwater?« Breakwater war das Einsatzkommando der Küstenwache in New York.
»Negativ, Sir. Sie verhalten sich ruhig.«
Bolling sah die Lichter von Frachtern am Horizont aufgereiht. »Erreichen jetzt dreiunddreißig Meter Wassertiefe«, meldete der Rudergänger.
»Sehr gut«, sagte Packard. »Kurs beibehalten. Geschwindigkeit auf ein Viertel reduzieren.«
Das Boot senkte sich tiefer ins Wasser, und das Hämmern des Zwillingsmotors ließ nach. Bolling und Packard hatten sich darauf geeinigt, daß sie, sobald sie sicher auf ihrer Position waren, am besten von einer bedeutsamen Krisenlage ausgingen und Treibstoff sparten, gleichzeitig aber langsam weiterfuhren. Damit wollten sie verhindern, daß sie kenterten, wenn kurzfristig eine Woge auftauchte. Keiner von beiden hatten irgendwelche Erfahrungen mit Tsunamis. Auch sonst niemand, den sie kannten. Aber Bolling hatte Nachforschungen angestellt. Den Büchern zufolge brauchte man in tiefem Wasser nichts zu fürchten. Tsunamis sind kaum feststellbar, bis sie Küstengebiete oder Untiefen erreichen, wo sich das Wasser drängt. Natürlich war die Diligent eigentlich nicht in wirklich tiefem Wasser.
Eine weitere Leuchtspur zog sich über den Himmel. Kam auf sie zu. Sie wurde groß und größer, explodierte schließlich und regnete Feuer aufs Meer. »Ein paar Stücke sind ins Meer gestürzt«, sagte der Eins O.
Bolling war nicht dieser Meinung. Nachts konnte man nur schwer feststellen, wo genau irgendwas war.
Frischer Kaffee wurden von unten geliefert. Der Matrose meldete, daß wieder Kontakt zum Mondbus des Vizepräsidenten bestand. »Der Bus selbst sendet nicht«, erklärte er. »Aber es heißt, sie würden ihn auf dem Radar verfolgen.«
Bolling freute sich, das zu hören. Er mochte Haskell. Präziser gesagt, fand er, daß die Nation schlecht dastehen würde, wenn sie ihre Nummer zwei nicht vor einer Katastrophe retten konnte, die man seit fünf Tagen kommen sah.
Eine weitere Nachricht kam aus der Kommzentrale:
TSUNAMI HAT DIE KÜSTE VON NEW LONDON BIS MARTHAS VINEYARD, NANTUCKET UND DEM KAP GETROFFEN. 140430Z. EINZELHEITEN SPÄTER.
Wie groß? Wieviel Schaden?
Sie bekamen eine Transglobalsendung über die Welle vom Satelliten herein. Erste Meldungen trafen sporadisch ein, aber Bolling fragte sich schon, ob die Unheilspropheten nicht letztlich recht behielten. Er schaltete das Interkom ein und informierte seine Leute über das, was er wußte. »Wir geben jede Neuigkeit weiter, sobald sie eintrifft«, schloß er.
Sie blieben unter einem inzwischen wieder ruhigen Himmel auf südöstlichem Kurs. Die Wassertiefe erreichte 40 Meter. Der Wind frischte auf, und das Meer wurde kabbelig.
Um 23 Uhr 39 überreichte man ihm den Rundspruch eines Öltankers:
DIE TEXACO QUEEN MELDET WOGE IN NÖRDLICHER RICHTUNG, 40,7 GRAD N. BREITE, 71,8 GRAD W. LÄNGE – NÄHERT SICH DER KÜSTE.
Bolling brauchte dazu nicht auf die Karte zu blicken; noch mehr Probleme für Rhode Island.
»An die Station weitergeben«, sagte er.
»Schon erledigt, Captain«, sagte der Bote.
Bolling suchte den Horizont mit dem Nachtsichtglas ab. Alles flach wie ein Pfannkuchen.
Ein weiterer Feuerball raste an Steuerbord lautlos aus den Wolken hervor. Das Meer nahm in seinem Licht einen rötlichen Schimmer an. Er flog über den Kutter hinweg, verstreute dabei
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