Mondsplitter
müßte eigentlich trocken geblieben sein. Es war jedoch anstrengend, sich Sorgen zu machen. »Wir sollten versuchen, nach Hause zu kommen«, sagte sie.
»Wie, denkst du, sollten wir das tun, Schatz?«
Sie stellte überrascht fest, wie weit sie sich innerlich von allem zurückgezogen hatte. Sie machte sich fast über nichts mehr Gedanken. Sie wußte jedoch, daß Dinge gesagt und vorgespiegelt werden mußten.
Louise war in der Küche. Natürlich gab es kein fließend Wasser mehr. Louise hatte eine Flasche Quellwasser geöffnet und goß einem der Wirtschaftsprüfer ein kleines Glas ein. »Sei sparsam damit, Bill«, sagte sie.
»Ist das der ganze Vorrat?« fragte Marilyn.
Louise sah sich den Behälter an. Etwas über dreieinhalb Liter waren übrig. »Das ist er«, sagte sie. »Wir müssen uns allmählich überlegen, was wir tun, wenn keine Hilfe kommt.«
»Hilfe wird kommen«, meinte der Wirtschaftsprüfer.
»Ich denke, Louise hat recht«, sagte Marilyn.
Louise sah aus, als hätte sie die ganze Nacht nicht geschlafen. Sie macht sich Sorgen, wie sie alle ernähren soll, erkannte Marilyn.
Larry trat hinter ihr ein. »Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, wie wir das Frühstück organisieren«, sagte er. »Gibt es in der Gegend ein Lebensmittelgeschäft?«
Louise nickte. Ihre gewohnte Energie hatte sich verflüchtigt. »Einen Block weit Richtung Broadway. Auf der anderen Straßenseite. Er heißt Barney’s. Aber ich denke, er liegt zur Zeit unter Wasser.«
»Hört mal«, sagte der Wirtschaftsprüfer, »die ganze Welt weiß, daß wir hier festsitzen. Wir sollten nicht überstürzt losrennen. Wir müssen einfach Geduld haben.«
»Nein.« Marvin trat ins Kerzenlicht. Seine Stimme lag eine Oktave tiefer als sonst. »Ich finde nicht, daß wir einfach abwarten sollten, was mit uns passiert.« Er sah Marilyn an und wandte sich dann an Louise. »Findet man in diesem Haus irgendwas, was man als Floß verwenden könnte?«
9.
Weißes Haus, Oval Office, 4 Uhr 07
Nicht benötigtes Personal war ruckzuck weggeschafft worden. Henry hatte gerade mit dem brasilianischen Präsidenten telefoniert und den Evakuierten mit dem Gefühl nachgeblickt, sich auf einem sinkenden Schiff aufzuhalten. Die Agenten hatten sich geweigert zu gehen und bemannten jetzt den Vordereingang. Alle anderen Zugänge waren dichtgemacht. Das Weiße Haus stand leer, abgesehen vom Präsidenten, einigen seiner führenden Mitarbeiter, dem Secret Service und dem halben Dutzend Offizieren im Lagebesprechungsraum. Zur Vorsicht hatte Kerr drei Hubschrauber der Marines herbeizitiert. Die Maschinen standen mit langsam drehenden Rotoren auf dem Rasen bereit.
Das Telefon des Präsidenten klingelte. »General Wilson am Apparat, Sir«, meldete der Armeehauptmann, der den Posten von Henrys Sekretärin übernommen hatte.
»Ja, Bob?« fragte der Präsident.
»Herr Präsident, wir stellen die Zielprogrammierung der Vögel neu ein, wie Sie es gewünscht haben. Wir sind bereit zum Abschuß, sobald das Ding vorbeikommt.«
»Gut.« Gott sei Dank! Wenigstens etwas lief richtig. »Sie haben die Erlaubnis zu feuern, Bob. Aber nicht, bevor das Ding wieder auf dem Weg hinaus ist.«
»Ja, Sir. Genau so machen wir es.«
»Wir wollen schließlich nicht, daß irgendwelche radioaktiven Stücke auf China stürzen.«
»Nein, Sir.«
Noch mehr Menschen als Feinberg hatten inzwischen von der Gefahr durch POTIM-38 erfahren, und die Geschichte war zu den Medien durchgesickert. Die elektronische Ausgabe der Rocky Mountain News bemerkte, daß das Objekt vage an einen Grabstein erinnerte. Etliche Karikaturen von dem Brocken waren bereits erschienen; eine stellte Henry dar, wie er auf seinem Grab saß und nachdachte, neben einem Gedenkstein, der dem Possum ähnelte.
Nun, was das anging, hatten sie recht. Was immer jetzt geschah – Henrys Nachruf war geschrieben und veröffentlicht.
Blitze prasselten auf dem Dach. Es war ein Sturm, wie ihn Henry in all seinen Jahren im District nie schlimmer erlebt hatte. Die Experten glaubten, daß auch dieser Sturm von Mondgestein ausgelöst worden war.
Kerrs vertrautes Klopfen ertönte an der Tür.
»Herein«, sagte der Präsident.
Die Tür ging vorsichtig auf, und der Stabschef blickte ins Büro. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Henry?« fragte er.
»Mir geht’s gut.« Kerr stand betreten da. So wie immer, wenn ein Problem vorlag. »Was ist los, Al?«
»Weitere Flutwellen rollen an«, sagte er. »In drei bis vier Stunden.
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