Mondsplitter
Freitagabend.
Stephan blickte auf die Mondlandschaft hinunter. »Ich hätte nie erwartet, mal hierherzukommen«, erzählte er seiner Copilotin.
Die Copilotin war Kathleen Steadmann aus Bremerhaven. Sie betrachtete mit zusammengekniffenen Augen den Kometen. »Gerade noch rechtzeitig, wie es aussieht«, sagte sie.
L1, Einstufen-Raumfähre Arlington, Flugdeck, 10 Uhr 23
Auch die Arlington hatte im Flug den Kurs korrigieren müssen, um die Programmierung zu kompensieren, aber trotzdem traf sie fast pünktlich auf L1 ein.
Die Station verfügte nicht über die üblichen Andockvorrichtungen für einstufige Raumfähren. Das Stationspersonal hatte einen Transporterhangar umgebaut, und George steuerte den abgerundeten Bug des großen Raumschiffs hinein. Eine luftdichte Einpassung war nicht möglich, so daß die Sektion nicht unter Druck gesetzt werden konnte. George sah immer noch rote Lampen auf der Armaturentafel, als er so weit wie nur möglich hineingefahren war. Er schaltete die Triebwerke auf Kommando aus und sah einer Gruppe von Technikern in D-Anzügen dabei zu, wie sie über Tragflächen und Rumpf ausschwärmten und den Raumgleiter mit Fallschirmkabeln sicherten. Der Hangar lag in der Nabe, einer unbeweglichen und deshalb schwerelosen Sektion. Der Raumgleiter schwankte und stieß gelegentlich gegen den Anlegeplatz. Jetzt tauchte ein zweites Team auf und zog von der Einstiegsrampe aus einen Flemingschlauch hinter sich her. Sie verbanden ihn mit der Hauptluftschleuse.
Der Flemingschlauch war ein unter Druck stehender, biegsamer, ziehharmonikaähnlicher Durchgang aus Metall und Plastik und diente als Zugangsmöglichkeit für Raumfahrzeuge, deren üblicher Einstieg beschädigt worden war.
Dieser Schlauch war ungefähr dreißig Meter lang. George ging nach hinten und blieb an der Haupttür stehen, die ein kleines Stück vor dem Mittelpunkt des Raumgleiters lag. Als die Lampen an der Tür auf Grün sprangen und ihn darüber informierten, daß auf der anderen Seite Luftdruck herrschte, öffnete er.
Eine junge Frau lächelte ihn an. Sie trug eine dunkelblaue Uniform, ähnlich denen, die auf Skyport gebräuchlich waren, allerdings mit einem L1-Aufnäher. »Willkommen auf Lagrange eins, Captain«, sagte sie. »Wir sind froh, Sie zu sehen.«
Eineinviertelstunden später hatten sich George und seine Crew frischgemacht und kehrten in die Maschine zurück. Zweihundertvierundzwanzig Passagiere waren jetzt an Bord.
Ein paar Leute vom Betriebspersonal blieben auf ihren Posten, bis die Arlington startklar war.
»Haben Sie selbst eine Flugmöglichkeit?« fragte George die Stimme im Funkgerät, mit der er die ganze Zeit redete.
»O ja! Wir haben die Antonia Mabry, warmgelaufen und einsatzbereit. Wir folgen Ihnen dichtauf, Arlington.«
»Dann sehen wir uns auf Skyport«, sagte George. Er brachte die Maschine für den Rückflug auf Kurs und beschleunigte. Hinter ihm erloschen die Lichter der Raumstation.
MONDBASIS, AMTLICHE BEKANNTMACHUNG VON 10 UHR 30
Pro Person sind fünfzehn Pfund Gepäck erlaubt. Persönliche Gegenstände sind nicht erlaubt, soweit sie zum Zeitpunkt des Einstiegs als übertrieben schwer eingestuft werden. Retten Sie Menschenleben; reisen Sie mit leichtem Gepäck.
Gebilligt von John C. Chandler, Direktor
4.
Manhattan, 10 Uhr 36
Marilyn Keep arbeitete als Lektorin für GrantTempo Publications und gehörte dabei zu GrantQuasar, der Abteilung für historische Romane. Ihr Ehemann war Kundenbetreuer bei Bradley & Boone, einer aufstrebenden Wertpapierfirma. Sie hatten eine bequeme, aber nicht übertrieben prunkvolle Wohnung mit zwei Schlafzimmern in Manhattan, direkt am Central Park. Marilyn war neunundzwanzig, seit vier Jahren verheiratet und wünschte sich nichts sehnlicher, als schwanger zu werden. Sobald wir finanziell etwas besser dastehen, sagte Larry stets dazu.
Marilyn arbeitete zu Hause. Ihre Aufträge trafen jeden zweiten Mittwoch am späten Nachmittag ein. Zur Zeit überarbeitete sie Schatten des Verräters, einen Roman über einen Mordfall am Hof Karls XII. von Schweden. Obwohl sie Spaß an ihrer Arbeit hatte und gern historische Romane las, konnte sie die Feinheiten von Grant-Quasar-Titeln nicht so würdigen wie die eines Romans, den sie zufällig in der Buchhandlung erwarb. Dazu war sie zu sehr auf Details konzentriert; sie stellte sicher, daß Augenfarben und Sprechweisen konsistent waren, erstellte Zeittafeln und spürte Anachronismen auf. Sie leistete also
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