Mondsplitter
ausgesetzt waren, konnte entsetzliche Folgen haben. Falls es schiefging, reichte das womöglich, die Regierung zu stürzen.
Boatmann verschwamm das Bild vor den Augen. Er teilte die Personen auf den Fotos in zwei Gruppen auf: Solche, die in Sicherheit waren, und die, die es nicht waren. Einige hatte er schon gewarnt. Mehrere hatte er aus dem einen oder anderen Grund kurzfristig nicht erreichen können, und er war zu diskret, um Nachrichten auf Anrufbeantworter zu sprechen. Aber er wollte es heute noch einmal versuchen.
Er bewegte sich, stand auf, zog die Vorhänge zur Seite und blickte in den Morgen hinaus. Der Himmel war schiefergrau, und die Luft roch nach heranziehendem Regen. Auf der Wisconsin Avenue herrschte ungewöhnliche Ruhe.
Seine innere Qual wurde noch dadurch verschlimmert, daß der Präsident recht hatte: Ein Massenexodus aus den Küstenstädten würde Menschenleben kosten. Wie standen die Chancen, daß der Kometeneinschlag wirklich nur ein paar Meteorschauer am späten Abend hervorrief?
Auf diese Frage schien es keine Antwort zu geben. Boatmann hatte gestern nach der Kabinettssitzung viel Zeit im Internet und am Telefon verbracht. Niemand wußte es.
Es kam ihm jedoch unehrlich vor, das zu verschweigen, was sie wirklich glaubten. Egal, welche Motive dahintersteckten. Das System funktioniert nur, wenn eine ehrliche Übereinkunft zwischen der Regierung und den Regierten besteht.
Leicht gesagt. Wie aber wollte er es sich selbst gegenüber rechtfertigen, wenn er eine Panik auslöste?
Der Kaffee war kalt geworden. Er goß sich eine neue Tasse ein. Nach einer Weile griff er nach dem Telefon.
3.
Mondbasis, Grissom Country, 8 Uhr 05
Der Vizepräsident hatte gestern am späten Abend angerufen und Rick vorgeschlagen, ein paar passende Bemerkungen für eine Fernsehpressekonferenz heute vorzubereiten. Zu Anfang eine gute Stellungnahme. Wir wollen optimistisch klingen, hatte Charlie gesagt. Wahrscheinlich sollten wir zugeben, welche Aspekte der Situation unsicher sind. Wir sind jedoch in der Hand der guten alten amerikanischen Technik. Wir und unsere ausländischen Freunde stehen das durch, bla bla bla. Der Präsident möchte, daß wir uns auf die Probleme der Mondbasis konzentrieren. Er hofft, daß wir dadurch die Öffentlichkeit ablenken und daran hindern, zu Hause die Highways zu blockieren. Charlies Stimme hatte einen seltsamen Unterton angenommen. Er zeigte nur selten negative Gefühle über andere Menschen, aber er klang, als ärgerte er sich über Kolladner. Wenn du schon dabei bist, bereite eine Liste mit Fragen vor, die mir wahrscheinlich gestellt werden. Und mit empfehlenswerten Antworten.
Nicht, daß du irgendeine davon verwenden wirst, hatte sich Rick gedacht.
Jedenfalls traf Rick jetzt mit Vorschlägen beladen vor der Tür des Vizepräsidenten ein. Charlies Stimme forderte ihn auf einzutreten. Charlie saß auf dem Sofa und blätterte in einem Notizbuch. »Guten Morgen, Rick«, sagte er. »Ich habe einige Ideen, wie sich die Sache anhören sollte.«
»Sind die zu Hause so nervös?« fragte Rick.
»Wie ich höre, bessert sich die Lage. Aber der Präsident fühlt sich nicht wohl dabei. Und nicht ohne Grund. Hast du je mit ihm Poker gespielt?«
Rick hatte nicht.
Aber er kannte den Ruf des Präsidenten. Kolladner spielte heute natürlich nicht mehr. Man hätte es vor den Medien nicht verbergen können, und man konnte die Öffentlichkeit dazu bringen, über einen Pokerspieler im Weißen Haus die Stirn zu runzeln. Die Gastgeber von Talk-Shows und die Late-Night-Witzbolde liebten so etwas.
»Er hat immer behauptet«, erzählte Charlie, »daß er nie blufft. Das stimmt natürlich nicht. Aber das macht den Bluff wirkungsvoll.«
»Und er blufft jetzt? Über Samstagabend?«
»Yeah, denke ich. Er hat Angst.«
Rick nickte. »Wenn es zum Schlimmsten kommt, verliert er womöglich beide Küsten.«
Ein Muskel an Charlies Kiefer zuckte, aber er sagte nichts.
Rick, der eine elementare Abneigung gegen lockere Konversation empfand, winkte ab. »Ich habe einige Notizen darüber gemacht, wie wir meiner Meinung nach die Pressekonferenz gestalten sollten.«
»Gut. Sie ist für zwanzig Uhr angesetzt. Hauptsendezeit, über alle Sender und Internetlinks. Mehrere Gäste sind eingeladen, darunter einige Wissenschaftler auf der Erde, die denken, daß wir wirklich keinen Grund zur Sorge haben. Man hat sogar einen aufgestöbert, der schwört, daß der Komet den Mond verfehlen wird. Kendrick soll die
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