Mondsplitter
gerade mal anständigen Straßen. Sicherlich nicht mit dem Pennsylvania Turnpike vergleichbar. Aber irgendwas an dieser Autoflut erinnerte ihn an die verängstigten Massen von damals.
Irgendwas.
Vielleicht die auf den Rücksitzen kauernden Kinder; und die verängstigten Fahrer, die ausstiegen, um liegengebliebene Autos von der Straße zu schieben; und sogar gelegentliche Schüsse. Im Kaukasus waren Heckenschützen entlang der Straßen dafür verantwortlich gewesen. Hier wußte Archie nicht, was dahintersteckte.
Voraus rotierte ein Blinklicht auf dem Dach eines Streifenwagens, aber die Cops waren so hilflos wie alle anderen.
Alte Autos wurden zu heiß, oder ihnen ging das Benzin aus. Die Elektrowagen erschöpften ihre Batterien. Die Pine-River-Laster waren aufgeladen worden, ehe sie vom Werksgelände fuhren, aber auch sie würden nicht durch die Nacht kommen.
»Wie geht es dir, Claire?«
Sie zuckte die Achseln. Sie bewegten sich zentimeterweise an einer Ausfahrt vorbei. Sie war mit Fahrzeugen verstopft, die die Schnellstraße verlassen wollten. Eine weitere Kolonne okkupierte den Seitenstreifen, aber auch sie bewegte sich nicht.
Archie hatte mehrmals versucht, Susan mit dem Mobiltelefon zu erreichen, aber das Netz mußte überlastet sein, und er war einfach nicht durchgekommen. Wahrscheinlich ging es überall auf den Straßen schlimm zu. Er stellte sich vor, wie Susan versuchte, über die I-287 rings um New York zu kommen, und bedauerte, daß er sie ermuntert hatte loszufahren. »Diese Leute sind verrückt«, stellte er schließlich fest.
Claire lächelte. »Wir sind auch hier draußen.«
»Yeah. Aber uns bezahlt man dafür.«
DIE MOLLY-SINGER-SHOW, 20 Uhr
Auszug aus einem Interview in den WXPI-Fernsehstudios in Richmond, Virginia, mit ›Oberst‹ Steve Gallagher, Kommandant, Thomas-Jefferson-Legion.
Singer: Oberst, wozu braucht Virginia eine Miliz?
Gallagher: Wir alle kennen doch die Antwort auf diese Frage, Molly. Einige von uns möchten sich der Wahrheit nicht stellen, und einige von uns liegen mit den Verrätern von ganz oben im Bett. Aber wir alle wissen es doch.
Singer: Wieso erklären Sie es uns nicht?
Gallagher: Die Legion ist das einzige, was zwischen dem Unterdrückerstaat und dem Volk steht. Falls es den Föderalen je gelingen sollte, uns niederzuwerfen, können Sie und die anderen Leute da draußen sich gleich die Fußeisen anlegen.
Singer: Sie denken also wirklich, daß es eine weitreichende Verschwörung gibt, um das amerikanische Volk zu versklaven?
Gallagher: Sie können sich darüber lustig machen, soviel Sie möchten, Sie und die übrigen liberalen Medien. Sie waren ja schon immer ganz vorne mit dabei, diese Verräter anzustacheln und die Wahrheit zu vertuschen. Aber wenn Sie ihnen das Land übergeben, schlucken die Sie auch mit. Genau wie uns andere.
Singer: Über wen genau reden wir?
Gallagher: Fangen wir mal mit Kolladner an.
Singer: Was hat er getan?
Gallagher: Regierungsgewalt ohne Volksvertretung, Molly. Machen Sie mal die Augen auf! Es ist der gleiche Grund, aus dem wir den Unabhängigkeitskrieg gekämpft haben. Sehen Sie mal, es geht eigentlich nicht um Einzelpersonen. Es geht um die staatliche Maschinerie. Es geht um ein System, das es Menschen wie Kolladner ermöglicht, an die Hebel der Macht zu kommen, ein System, das uns alle niederzuhalten versucht.
Singer: Wir haben Wahlen.
Gallagher: Worüber darf man denn abstimmen? Normalerweise hat man die Wahl zwischen zwei Marionetten. Molly, Molly, die meisten Männer und Trauen werden als Sklaven geboren. Wir beide wissen das. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt findet man auf dem ganzen Planeten nur wenige, die man wirklich frei nennen kann. Die anderen, zum Beispiel die große Masse Ihres Publikums, sind versklavt, weil sie an das glauben, was ihnen von Schule und Kirche erzählt wird. Von der Gesellschaft und besonders von Sendungen wie dieser hier. Das sind alles korrupte Institutionen, die daran mitarbeiten, korrektes Verhalten sicherzustellen. Die Ordnung aufrechterhalten, das wollen Sie doch schließlich, nicht wahr? Damit Sie Ihren Job mit den zweihunderttausend Dollar Jahresverdienst behalten können. Sie wurden zum Sklaven geboren, Molly. Sie haben eine gewisse Begabung, und Sie haben sich verkauft. Ihr Job ist es, dafür zu sorgen, daß jeder, der eigene Gedanken hat, isoliert, an den Rand der Gesellschaft verbannt und jeder Macht beraubt wird.
Richmond, WXPI-Studios, 20 Uhr 36
Tad Wickert und
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