Mondsplitter
Folgen hinter dem Zeitplan herhinkten. Er wußte, daß er anders hätte handeln können, daß er aus der Wolke hätte hinausbrausen oder auch aussteigen, das undichte Ventil zudrehen und den Einsatz zu Ende bringen können. Aber niemand konnte von ihm erwarten, solche Vermutungen anzustellen. Es wäre zum Beispiel leichtsinnig gewesen, eine Kollision mit der Raumfähre zu riskieren. Eine leise Stimme von irgendwo sagte ihm, er hätte ahnen müssen, daß der andere Pilot auf Distanz gehen würde. Er hatte jedoch nicht sicher sein können, ob der andere Pilot nicht dachte, der Mikrobus würde in ernsten Schwierigkeiten stecken und stillhalten, während er mit der Raumfähre auf ihn zuhielt.
Ohnehin war das alles Geschichte. Zeitverschwendung, darüber nachzudenken. Die Frage lautete: Wie konnte man den Schaden wettmachen?
Es gab eine Möglichkeit.
»Bist du okay, Tony?« Saber sah ihn besorgt an. Die Berlin war hinter der Krümmung des Mondes verborgen. Gerade überquerte der Mikrobus die Rückseite des Mondes. Sie lag im drohenden Licht des Kometen, der jetzt wie eine zweite Sonne wirkte. Keine echte Sonne, sondern eine kühle, dünne Erscheinung. Etwas, was man nachts im Wald sah.
»Yeah. Mir geht’s gut.«
»Woran denkst du?«
»Weißt du«, sagte er, »wir können unseren letzten Schwung Fluggäste morgen abend abliefern und immer noch rechtzeitig vor dem Einschlag wieder landen.«
Ihr letzter Start vom Raumhafen war für etwa 19 Uhr 30 am Samstag angesetzt. Sie sollten ein Rendezvous mit der Arlington um circa 21 Uhr 10 ansteuern. Die Arlington würde dann die letzte Raumfähre am Himmel über Lima sein.
»Wir könnten bis fünfzehn nach wieder auf dem Raumhafen landen.«
»Zehn?«
»Yeah.«
»Tony, das sind nur zwanzig Minuten, bevor der Komet aufprallt. Nicht mal genug Zeit, um wieder zu starten. Und die Arlington wäre danach sowieso lange weg.«
»Wir müßten also mit dem Mikro fliegen, nicht wahr?«
Sie starrte ihn an. »Wir könnten nicht in weniger als einer halben Stunde wieder wegkommen. Wir könnten die Inspektion überspringen, müßten aber wenigstens auftanken.«
»Ich weiß. Saber, ich möchte einfach niemanden da unten zurücklassen.«
»Verdammt, niemand möchte das! Aber wenn wir wieder landen, würden wir nichts weiter erreichen, als mit ihnen da unten erwischt zu werden.«
»Nicht unbedingt.« Er nahm die Passagierliste zur Hand und sah die Namen durch. Sie hatten drei Verkäufer an Bord und drei Familienangehörige. Dazu kamen zwei Geologen, ein Hydroponikexperte und eine Astrophysikerin. Insgesamt zehn Personen. (Der Hydroponikexperte war schwer, die Kinder leicht. Sie hatten sogar ein zusätzliches Kind an Bord nehmen können.)
Die Astrophysikerin war genau die Richtige. Tony bat Saber, hinunterzugehen und sie aufs Flugdeck einzuladen.
Janet Koestler war mittleren Alters, leicht übergewichtig und hatte ein rundes Apfelkuchengesicht. Man konnte sie sich eher im Kreis von Enkelkindern vorstellen als bei der Arbeit mit Teleskopen. »Wie kann ich Ihnen helfen, Captain?« fragte sie, nachdem er sie auf Sabers Platz untergebracht hatte.
»Dürfte ich eine berufsbezogene Frage stellen?«
»Sicher.«
»Ich frage mich, ob Sie uns präzise erläutern könnten, was passiert, wenn Tomiko hier einschlägt. Wenn er den Mond trifft.«
Vor ihnen ging die Erde auf.
»In welcher Hinsicht?« fragte Koestler.
»Wird der Mond explodieren?«
Sie runzelte die Stirn. »Nein«, sagte sie. »Der Mond kann gar nicht explodieren. Er ist ein Körper von ausgesprochener Bindekraft.«
»Was wird also passieren?«
»Ich habe die Berechnungen nicht gesehen, aber dieser Komet ist sehr groß. Er ist eine Anomalie. Und er nähert sich mit einer Geschwindigkeit, die ich für unmöglich gehalten hatte. Falls ein Komet dieser Größe auf der Erde einschlüge, würde er einen Krater mit ungefähr dreitausendsechshundert Kilometern Durchmesser erzeugen. Das übertrifft den Durchmesser des Mondes.« Sie legte eine Pause ein, um diesen Punkt zu betonen. »Ich folgere daraus, daß der Mond auseinanderbricht.« Sie blickte auf Luna hinunter. »Alle Materie in unmittelbarer Nähe des Aufschlagpunktes wird verdampft, wahrscheinlich bis dicht an den Kern.
Der Komet wird eine Menge Gestein schmelzen. Eine Menge! Ein Teil davon schießt von der Oberfläche hoch. Oder vielleicht sollte man es korrekter so ausdrücken: Wird vom Gravitationszentrum weggeschleudert. Ein Teil wird sogar aus dem Erde-Mond-System
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