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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Mutter tadelte meinen beschränkten Wortschatz. ›Adelig, weißt du überhaupt, was das heißt? Menschen können adelig sein, Katzen niemals. Außerdem haben sie Flöhe.‹ Sie verscheuchte die Katze, die sich nie wieder blicken ließ. Ich bewunderte die Fledermäuse, die abends in Scharen über den Balkon flatterten. Fledermäuse sind Meisterwerke der Natur, in Vaters Naturkundebüchern waren sie mit allen faszinierenden Einzelheiten beschrieben, aber Mutter hatte nur Angst, dass sie sich in ihren Haaren verfingen. Sie besaß eine fundamentale Gleichgültigkeit jedem Tier gegenüber. Unser lustiger ›Pointer‹ Zephyr brachte Leben ins Haus. Aber für Mutter war er nicht viel mehr als eine Kommode, mit dem Unterschied, dass Zephyr nicht an der Wand stand und ihr ständig um die Füße bellte. Sie schubste ihn ärgerlich weg. Ich protestierte: ›Er will doch nur spielen, jetzt denkt er, dass wir böse auf ihn sind!‹ – ›Was stellst du dir eigentlich vor?‹, entgegnete Mutter. ›Tiere denken doch nicht!‹ Heute kommen mir solche Erinnerungen mit einem Beigeschmack von Staub. Ich rieche sogar noch das Mottenpulver.
    Ach, Alessa, warum schreibe ich dir das alles? Briefe schaffen einen Zustand der leichten, gelösten Mitteilsamkeit. Man schickt sie schnell ab und überlegt sich erst hinterher, welche Dummheiten man wohl aufs Papier gebracht hat. Aber ich zähle auf deine Nachsicht. Früher taten wir ja alles gemeinsam. Entsinnst du dich an unseren Schwur in der Tempelkammer? Es war ja nicht richtig dunkel, nur dämmrig, ich sehe noch unsere Gesichter, höre noch unsere Herzen klopfen. Und Vivi mit ihren haarsträubenden Geschichten, und dann diese Sache zwischen Giovanni und dir! Noch heute, wenn ich daran denke, überläuft mich eine Gänsehaut. Verrückt, einfach verrückt! Die Kindheit ist ein merkwürdiger Bereich, wir erleben alles gleichzeitig überdeutlich und verschwommen.
Wir taten verbotene Dinge, und es war für uns völlig normal, sie zu tun. Heute versuchen wir uns weiszumachen, dass wir nicht mehr dieselben sind. Wir sprechen uns von allen Erinnerungen frei, unsere Lebensuhren schlagen gemeinsam im Takt der Verschwiegenheit, nicht anders als die alte Pendeluhr im Wohnzimmer meiner Eltern. Aber alle abwegigen und für unsere überreizten Empfindungen so schuldhaften Gedanken, haben wir die wirklich vergessen? Ich für meinen Teil kann es mir nicht vorstellen. Wir liebten zu sehr unsere Kindheit voller Geheimnisse und Verletzungen jeglicher Art, die körperlichen wie auch die seelischen. Eine ruhelose Neugier treibt mich immer wieder zu den Orten von damals. Mein Fahrrad ist dabei mein einziger Gefährte, um dem Heute zu entfliehen und dem Gestern nachzufahren. Dabei erlebe ich oft ein ganz kurzes, aber heftiges Zusammentreffen von Fühlen und Denken, einen Augenblick, der mich mit dem Meer vereint, mit den Klippen und den ziehenden Wolken. Hinter jeder Wegbiegung verbirgt sich eine Erinnerung, jeder Stein am Weg erzählt die Geschichte einer Sehnsucht. Ganz im Verborgenen meiner selbst gestehe ich mir ein, dass es Giovanni ist, den ich suche und niemals mehr finden werde. Fließend und durchsichtig ist die Grenze zwischen jetzt und nie mehr. Der Wind flüstert Geheimnisse, die ich zu kennen glaube, die aber womöglich nur Träume sind. Die Spuren bewegen sich mit der Luft, sie hinterlassen keine Abdrücke, weder auf den Steinen noch im Sand. Auf die Dauer ist das nicht gesund, ich könnte sogar meine Schüchternheit damit erklären. Oft stelle ich mir vor, wie die Dinge sein könnten, wenn ich endlich ›darüber hinaus‹ sein würde, was den Eindruck voraussetzt, dass ich in etwas gefangen bin, aus dem ich mich zu befreien habe. Aber das habe ich ja längst hinter mir! Oder doch nicht? Ich denke, es wird mir besser gehen, wenn ich so weit komme, dass ich die Vergangenheit einfach abschneiden kann. Eine klare, saubere
Trennung. Schnipp, schnipp! Aber ich dazu bräuchte ich wohl das Skalpell des Chirurgen!
    Es war einmal: Mit diesem traurigen Satz beginnen alle Märchen. Das Schicksal führte uns zusammen, riss uns wieder auseinander. Oft frage ich mich, ob Giovanni sich noch an uns erinnert. Ob er in Gedanken zu uns spricht oder nur durch Gefühle oder überhaupt nicht mehr? Diese Fragen beschäftigen mich sehr, aber ich weiß keine Antwort. Du vielleicht?«

28. Kapitel
    I ch verbrachte vier Jahre in London und wurde Zeuge, wie sich eine zunächst umstrittene Disziplin langsam, aber stetig

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