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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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verloren hatte. Dafür waren meine Erfahrungen zu empirisch.
    »Liebe Alessa«, schrieb Peter, »was du über Viviane berichtest, ruft so viele Erinnerungen in mir wach. Wir hatten uns ja
gänzlich aus den Augen verloren! Dass sie mit ihrer Rockband Erfolg hat, überrascht mich nicht. Vivi ist eben einzigartig, Gott weiß warum und wieso. Du schreibst, dass ihr Großvater sie immer unterstützt hat. Ach, wie ich sie beneide! Ich habe diese Chance nie gehabt, quälte mich jahrelang mit Gedanken, die man mir verbot. Es war, als ob man mir Arme und Beine verschnürte. Es dauerte eine ganze Ewigkeit, bis die Knoten platzten. Ich war frei, ein Schock geradezu, aber nur am Anfang. Heute blicke ich fassungslos auf so viel Verbohrtheit. Meine frisch erworbene Unabhängigkeit beschämt mich sogar. Über Borniertheit kann man nicht streiten, man kann sie nur erleben, wie Zahnschmerzen. ›Eigentlich ist Viviane aus guter Familie‹, sagte meine Mutter, wenn es ihr zu bunt wurde. Was heißen sollte, dass ich es auch war und Giovanni absolut nicht. Mein Gott, diese Vorurteile! Bei uns zu Tisch war jedes Wort abwägend und hochkultiviert, man redete gelehrt über ethische und politische Fragen, über Medizin und Stahlindustrie. Man schärfte mir Prinzipien ein, ich musste mich mit jedem Wort festlegen. ›Du sollst doch eine Meinung haben‹, sagte Vater und ermunterte mich zur Kritik. Aber wenn ich eine Meinung hatte, bekam ich sofort – bildlich gesprochen – eins auf die Schnauze. Nichts, gar nichts taugte, was ich sagte. ›Das wirst du erst später verstehen!‹, hieß es, so als übersteige das Problem mein gegenwärtiges Fassungsvermögen. Eine Beleidigung jedes Mal, und am Ende sagte ich nur noch ja, wenn ich auch gerne nein gesagt hätte. Leider sah ich auf mich zukommen, dass wir zunehmend verschiedener Meinung sein würden und dass ich es auch irgendwann mal sagen würde. Statt mich in meinem Elternhaus wohl zu fühlen, erlebte ich es so wie eine triste Zwischenzeit und träumte von einem Leben als glücklicher Vagabund. Rundherum war mir alles verhasst, die schweren Möbel, die düsteren Gemälde, ja selbst die Teppiche und die Farben der Sofakissen. Ich habe es damals für mich behalten, aber eine Erlösung aus der Misere
fand ich nur, wenn ich abhauen konnte und wir zusammen in alten Tempelruinen oder am Strand spielten. Weißt du noch, Alessa? Die Winter waren eiskalt, oft kauerten wir schlotternd in den Eingängen von Mietshäusern, rauchten Zigaretten, die von Hand zu Hand und von Mund zu Mund gingen. Die Zigaretten brachte natürlich Vivi mit. ›Alle rauchen bei mir Zigaretten und Joints, aber Joints mag ich nicht, man wird davon ganz beduselt.‹ Erwischten uns die Bewohner, jagten sie uns fort. Ich fand es aufregend, dass wildfremde Leute uns ausschimpften. In Valletta wurden meine Eltern ehrfürchtig gegrüßt. Vater bildete sich ein, dass er als Nasen-Ohren-Spezialist – wirklich nichts Überragendes, würde ich meinen – zu den wichtigen Leuten gehörte. ›Guten Abend, Herr Doktor!‹ Vater grüßte zurück, mit besonderem Nachdruck, wenn ihm der Grüßende noch Honorare schuldete. Er führte akribisch Buch über jeden seiner Patienten, die er mit großer Höflichkeit und guten Kenntnissen heilte, die er aber im Grunde verachtete. Meine Mutter, die – entschuldige! – nur eine Landkuh aus Gozo ist, hielt sich für eine große Dame, weil sie zwei Jahre lang die höhere Schule besucht hatte und mit gut situierten Freundinnen Bridge spielte. Was sie nicht sagte, war, dass sie mit Leidenschaft pokerte. Den Gewinn steckte sie heimlich ein, legte ihn beiseite fürs Sparbuch, mein Vater durfte es nicht wissen. Er war sparsam bis zum Geiz, und sie hatte ein schlechtes Gewissen. Eine Ehefrau ohne Fehl und Tadel, die Poker spielt, war nicht ›comme il faut‹! Diese halbe Freiheit, die sie sich nahm, hatte sie nicht einsichtiger gemacht. In allen Fällen hatte ich ›brav‹ zu sein, also gezwungen und unnatürlich. Fühlte ich mich zu Tieren hingezogen, zu jedem Tier, war Mutters Verständnis dafür gleich null. Einmal blieb ich bei einem Droschkenpferd stehen. ›Es ist viel zu alt, um noch eingespannt zu werden. Sieh nur diesen leidenden Blick!‹ Mutter zog mich hastig weg. ›Fass es nicht an, es ist krank!‹ Ein andermal verirrte sich eine Katze in unseren Garten, ließ sich
von mir streicheln und in die Arme nehmen. ›Darf ich diese Katze behalten?‹, bettelte ich. ›Sie sieht so adelig aus!‹

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