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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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böse. »Ich habe das alles ganz genau gesehen. Und zum Schluss habe ich sie sogar verstanden! Sie hat gesagt, dass wir ihre Kinder sind. Aber ihr liebstes Kind sei Giovanni, und deswegen gibt sie ihm ihre heilige Puppe. Die Puppe ist ein Bild von ihr. Sie ist nur für ihn, und er darf sie niemals verschenken.«
    »Die da?«, murmelte Giovanni.
    Er, der bisher kaum etwas gesagt hatte, drehte plötzlich den Kopf, sodass die Hälfte seines Gesichts von der Taschenlampe beleuchtet wurde. Ich werde sein Gesicht nie mehr vergessen, erzählte ich später Viviane, nie mehr. Sein Gesicht prägte sich mir als das Eindrucksvollste ein, das ich je gesehen hatte. Es war ein zutiefst ursprüngliches Gesicht, so klar und einfach in seinen Umrissen, wie von der Hand eines Meisters gezeichnet. Ein Gesicht, das nicht in diese Welt passte, archaisch und
episch. Er ist längst kein Kind mehr, dachte ich, er ist nie ein Kind gewesen, er ist ein Mutant, ein unbegreiflicher Akt der Natur. Durch sein Blut zog sich eine Geschichte, wie ein dunkler Strom. Seine Augen waren weit weg, ausgelöscht durch Rätsel und Träume. War er empfänglich für Zeichen, Omen, Vorbedeutungen? Vielleicht begriff er seine eigene Fremdartigkeit nur allmählich, wollte sie nicht zulassen, kämpfte dagegen an.
    »Zeig mal her!«
    Vivi sprang auf, so gelenkig, als sei nichts geschehen. Sie besah sich die kleine Figur, die Giovanni ihr unter größter Vorsicht zeigte. Er schien bei jeder Geste zu fürchten, dass er sie fallen ließ oder sonst wie beschädigte.
    »Ja, das ist sie.« Vivi lächelte zufrieden. »Sie trägt die gleiche Frisur.«
    »Aber das ist…« Giovanni zögerte, bevor er hastig weitersprach. »Onkel Antonino sagt, dass Malta früher den Teufelsanbetern gehörte. Dass man es an manchen Orten noch sehen kann. Dass sie in ihren Heiligtümern schlimme Dinge trieben. Genau wie damals die Assyrer, die in ihrem Irrtum gefangen waren, bevor der blinde Samson den Tempel Baals zerstörte.«
    »Menschenskind, kannst du reden!« Ich war fassungslos und beeindruckt. »Glaubst du wirklich an diese Dinge?«
    Er zeigte ein zaghaftes Lächeln.
    »Na ja, das steht jedenfalls in der Bibel.«
    »Mein Vater denkt wie dein Onkel«, gab Peter widerstrebend zu. Vivi fuhr grimmig dazwischen.
    »Als diese Frau lebte, hatte man den Teufel noch gar nicht erfunden!«
    »Egal, was«, seufzte Giovanni, »ich würde die Figur ja gerne behalten. Ich habe nur Angst, dass Onkel Antonino sie zerschlägt!«
    »Aber die Figur ist doch wertvoll!«, sagte ich.
    Er machte ein unglückliches Gesicht.

    »Deswegen sollen sie auch meine Brüder nicht finden. Die würden sie verkaufen und großes Geld damit machen. Ich will das nicht.«
    »Mein Vater hat einen Freund«, sagte ich, »der im Nationalmuseum arbeitet. Da werden solche Sachen ausgestellt.«
    Peter zeigte auch jetzt wieder, dass er einer war, der Schwierigkeiten gerne aus dem Weg ging.
    »Aber was, wenn dein Vater wissen will, wo Giovanni die Figur gefunden hat? Dann wird es auch mein Vater erfahren. Und dann können wir nicht mehr tun, was uns Spaß macht. So viel steht fest.«
    Ich zog die Schultern hoch.
    »Ach, mir wird schon etwas einfallen.«
    Vivi wandte sich erregt an Giovanni.
    »Gib bloß die Puppe nicht weg! Es ist verboten. Persea will es nicht.«
    »Ach, das bildest du dir nur ein«, sagte ich.
    Vivi wirbelte herum, trat ganz nahe an mich heran, sodass ich einen Schritt zurückwich. Ich war kein Raufbold, aber Vivi liebte das Prügeln, man musste sich vor ihr in Acht nehmen. Sie spuckte einem ins Gesicht, versetzte Hiebe und Fußtritte an den schwächsten Stellen, die ihr erreichbar waren.
    »Wiederhol das, und ich knall dir eine!«
    Ich konnte sehen, dass sie sich wirklich aufregte. Ich hatte sie noch nie so aufgebracht erlebt und wartete auf die Katastrophe. Vivi schien Funken zu sprühen, wie eine wütende Katze.
    »Ich bilde mir überhaupt nichts ein! Persea hat das wirklich gesagt!«
    Ich leuchtete ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht, als ob ich sie mir auf diese Weise vom Leibe halten konnte.
    »Nun sei doch endlich ruhig! Giovanni kann mit der Puppe machen, was er will. Er hat sie ja schließlich gefunden!«
    »Eigentlich hätte ich lieber, dass sie ins Museum kommt«,
mischte sich Giovanni mit belegter Stimme ein. »Mir wäre wirklich wohler dabei …«
    »Ach, das glaubst du?«
    Schlagartig erlosch Vivis Zorn. Sie wirkte plötzlich ganz verängstigt, zusammengekrümmt. Sie zog die Brauen zusammen und

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